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4. Assyrien, der starke Mann in Waffen 

 

 

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Die Blindheit des Militaristen ist Gegenstand eines berühmten Gleichnisses im Neuen Testament:

Wenn ein starker Gewappneter seinen Palast bewahrt, so bleibt das Seine mit Frieden.
Wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt und überwindet ihn,
so nimmt er ihm seinen Harnisch, darauf er sich verließ, und teilt den Raub aus.

Der Militarist vertraut auf seine Fähigkeit, in dem sozialen — oder antisozialen — System, in dem alle Streitigkeiten nicht durch ein Rechtsverfahren oder einen Vergleich, sondern mit Waffengewalt ausgetragen werden, für sich zu sorgen. Deshalb wirft er, wenn es darum geht, ob Gewalt oder ein organisierter Frieden herrschen soll, sein Schwert in die Waagschale. Das Gewicht des Eisens läßt die Waage zugunsten der Fortführung der alten barbarischen Methode sinken. Und der Militarist frohlockt, daß er einmal wieder seinen Willen durchgesetzt hat, und verweist auf diesen letzten Triumph als einen endgültigen Beweis dafür, daß das Schwert allmächtig ist.

Im nächsten Kapitel der Geschichte stellt es sich jedoch heraus, daß er nicht imstande ist, seine Behauptung ad hominem* in dem besonderen Fall, der ihn ausschließlich interessiert, zu beweisen; denn das nächste Ereignis ist seine eigene Überwältigung durch einen andern Militaristen, der noch stärker ist als er selbst. 

detopia:  wikipedia  Argumentum_ad_hominem  Unglaubwürdigmachung, Scheinargument, "auf den Menschen" zielend 

Sein Versuch, das militaristische Regime zu verlängern, hat nur dazu geführt, daß er am Ende selbst erfahren mußte, wie es ist, wenn einem der Hals abgeschnitten wird. So etwa erging es den Azteken und den Inkas, die in ihrer jeweiligen Welt rücksichtslos ihre schwächeren Nachbarn niederwarfen, bis sie selbst von den spanischen Konquistadoren überrascht wurden, die aus einer andern Welt über sie herfielen und sie mit Waffen niederschlugen, denen ihre eigenen nicht gewachsen waren. Ein ebenso gutes Beispiel, dessen Betrachtung bedeutend gewinn­bringender ist, bieten wir selbst. 

In der hellenischen Mythologie ist das Verhängnis, das der »starke Gewappnete« starrsinnig und unweiger­lich über sich bringt, im Mythos von Chronos dargestellt. Chronos verdrängt mit roher Gewalt seinen Vater Uranus aus der Herrschaft über das All, erfährt dann aber seinerseits das gleiche Schicksal aus den Händen seines Sohnes Zeus. In Zeus dagegen haben wir das Bild eines Militaristen, der wider seinen Willen gerettet wird, und zwar durch das Leiden eines anderen Wesens, das sowohl edler als auch weiser ist als er selbst. Die Rettung des Zeus durch Prometheus hat ein Gegenstück in Petrus' Rettung durch Jesus. Petrus begeht das Verbrechen des Militaristen in dem entscheidenden Augenblick im Garten Gethsemane.

»Und siehe, einer aus denen, die mit Jesu waren, reckte die Hand aus und zog sein Schwert aus und schlug des Hohenpriesters Knecht und hieb ihm ein Ohr ab. Da sprach Jesus zu ihm: Stecke dein Schwert an seinen Ort! Denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen.«

Auch im Alten Testament finden wir eine Darstellung der selbstverschuldeten Niederlage des Militaristen in der Geschichte von Benhadad und Ahab. Als König Benhadad von Damaskus König Ahab von Israel in seiner Stadt Samaria belagert, sendet der Angreifer Boten in die Stadt und fordert von seinem Opfer die Übergabe seines gesamten Besitzes. Ahab antwortet nachgiebig: »Mein Herr König, wie du geredet hast! Ich bin dein und alles, was ich habe.«

Aber Benhadad will seinen ergebenen Gegner noch weiter demütigen; so schickt er ihm eine zweite Botschaft und läßt ihm mitteilen, daß die Diener des Eroberers nunmehr kommen würden, sein Haus zu durchsuchen, und daß sie alles, »was« ihm »lieblich ist, in ihre Hände nehmen und wegtragen sollen«. Darauf antwortet Ahab, daß er auf diese zweite Forderung nicht eingehen könnte, aber immer noch bereit wäre, die erste anzunehmen. Benhadad droht nun mit Mord und Brand; aber Ahab sagt zu den Überbringern der dritten Botschaft: »Saget: Der den Harnisch anlegt, soll sich nicht rühmen wie der, der ihn hat abgelegt.«

So wird denn nach Benhadads Willen und gegen den Wunsch Ahabs der Streit der Könige in offener Schlacht entschieden. Und in dieser Schlacht zieht sich der Angreifer eine vernichtende Niederlage zu.

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Die Geschichte endet mit einem theatralischen Bild: Die Diener Benhadads kommen jetzt mit »Säcken um ihre Lenden und Stricken um ihre Häupter« aus der Stadt, in der sie und ihr Herr nunmehr ihrerseits belagert werden, und bitten den siegreichen Ahab um Gnade. Und Ahab läßt sich nicht durch die »Vertauschung der Rollen«, durch die schnelle Umkehrung des Verhältnisses zwischen ihm und Benhadad, dazu verleiten, den Fehler seines Gegners zu wiederholen. Auf die Botschaft: »Benhadad, dein Knecht, läßt dir sagen: Laß doch meine Seele leben!« antwortet Ahab: »Lebt er noch, so ist er mein Bruder.« Und als auf seine Anordnung Benhadad in Ehren vor ihn gebracht wird, schließt er — zu den äußerst günstigen Bedingungen, die Benhadad ihm eilig anbietet — einen Vertrag mit seinem reumütigen Gegner und läßt ihn auf der Stelle frei abziehen.

 

Als nächstes wollen wir den Fall des assyrischen Militarismus betrachten, der zur Zeit Ahabs und Benhadads seinen Schatten über die syrische Welt warf.

Die Katastrophe, in der die assyrische Kriegsmacht 614 bis 610 v.Chr. ihr Ende fand, war noch furchtbarer als die, welche 197 und 168 über die mazedonische Phalanx, oder die, welche 53 v.Chr. und 378 n.Chr. über die römischen Legionen, oder diejenigen, welche 1516-1517 und 1798 n.Chr. über die ägyptischen Mamelucken hereinbrachen. Die Katastrophe von Pydna kostete Mazedonien seine politische Unabhängigkeit. Die Katastrophe von Adrianopel wurde vom römischen Reich dadurch wiedergutgemacht, daß es die geschlagenen Legionssoldaten »zum alten Eisen warf« und die siegreichen schweren Reiter an ihrer Stelle anwarb.

Die Wiederholung des osmanischen Schlages durch die Franzosen war nötig, um die ägyptischen Bauern endgültig vom mameluckischen Druck zu befreien; und wie diese Bauern die mameluckische Herrschaft überstanden hatten, so überdauerten sie auch die der Osmanen und der Franzosen. Dagegen vernichtete die Katastrophe, in der die assyrische Militär­macht ihr Ende fand, nicht nur die Kriegsmaschine, sondern hatte darüber hinaus auch die vollständige Zerstörung des Staatswesens, ja selbst die Austilgung des assyrischen Volkes zur Folge. 614-610 v.Chr. wurde ein Gemeinwesen, das über zweitausend Jahre bestanden und seit etwa zweihundertfünfzig Jahren eine immer beherrschendere Stellung in Vorderasien eingenommen hatte, so gut wie vollständig ausgelöscht.

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»Denn da wird man hören die Geißeln klappen und die Räder rasseln und die Rosse jagen und die Wagen rollen. Reiter rücken herauf mit glänzenden Schwertern und mit blitzenden Spießen. Da liegen viel Erschlagene und große Haufen Leichname, daß ihrer keine Zahl ist und man über die Leichname fallen muß ... Deine Hirten werden schlafen, o König zu Assur, deine Mächtigen werden sich legen; und dein Volk wird auf den Bergen zerstreut sein, und niemand wird sie versammeln.«

In diesem Fall wurde der Fluch des Opfers, das den Sturz seines Unterdrückers erleben sollte, mit außer­ordentlicher Genauigkeit erfüllt. Im Jahre 410 v.Chr. zogen sich zehntausend griechische Söldner des jüngeren Cyrus vom Schlachtfeld von Kunaxa durch das Tigristal in Richtung auf die Küste des Schwarzen Meeres zurück. Dabei kamen sie an Kalach und dann an Ninive vorbei. Sie waren erstaunt über die Stärke der Befestigungen und die Größe der von ihnen eingeschlossenen Fläche, aber mehr noch über die Tatsache, daß so gewaltige Menschenwerke unbewohnt dalagen.

Das Unheimliche dieser leeren Schalen, deren Dauer­haftigkeit ein Zeugnis für die Kraft des dahin­geschwundenen Lebens ablegte, hat uns ein Angehöriger der griechischen Expeditions­truppe, der später über ihre Erlebnisse berichtete, mit schriftstellerischer Gewandtheit anschaulich geschildert. Aber für den modernen Abendländer, der dank den Leistungen der Archäologie mit der Geschichte Assyriens vertraut ist, ist, wenn er Xenophons Bericht liest, etwas anderes noch erstaunlicher. Xenophon war, obwohl das Geheimnis dieser verlassenen Städte seine Einbildungskraft und seine Wißbegier stark erregte, nicht in der Lage, auch nur das geringste über ihre wirkliche Geschichte in Erfahrung zu bringen.

Die Herren dieser Städte hatten wenig mehr als zweihundert Jahre, bevor er dort vorüberzog, ganz Vorderasien, von Jerusalem bis zum Ararat und von Elam bis Lydien, beherrscht und in Furcht gehalten. Trotzdem ist Xenophons Bericht über sie, der sich vermutlich auf die Erzählungen der örtlichen Führer des griechischen Heeres stützt, noch phantastischer als Herodots Bericht über die ägyptischen Pyramidenbauer, der von Ereignissen handelt, deren Kunde fast zweieinhalb Jahrtausende lang von Mund zu Mund gewandert war.

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So wie Xenophon die Geschichte von Kalach und Ninive hörte, waren diese modische Städte, die von den Persern belagert worden waren, als Cyrus das Reich des Astyages eroberte. Sie sollten durch göttliches Eingreifen in wunderbarer Weise entvölkert worden sein, nachdem die Perser gesehen hatten, daß sie sie nicht im Sturm nehmen konnten. Nicht einmal der bloße Name Assyriens wurde in den Sagen, die der vorüberziehende Grieche hörte, mit den Stätten seiner zweiten und dritten Hauptstadt verbunden.

»Wo ist nun die Wohnung des Löwen und die Weide der jungen Löwen, da der Löwe und die Löwin mit den jungen Löwen wandelten, und niemand durfte sie scheuchen?«

Hätten allerdings die Zehntausend bei Sittake an der Straße von Babylon nach Susa den Tigris nicht überschritten, sondern wären sie auf dem rechten Ufer aufwärts gezogen, dann wären sie an der Stätte von Assur, der ersten und namengebenden Hauptstadt Assyriens, vorbeigekommen. Und hier hätten sie noch Reste der früheren Bevölkerung vorgefunden, die zwar armselig zwischen den Ruinen hausten, jedoch die historische Berechtigung, sich Assyrer zu nennen, noch nicht aufgegeben hatten.

Aber Xenophons sagenhafter Bericht über Kalach und Ninive steht der »philosophischen Wahrheit« näher als die Entdeckung der Spuren dieser Bevölkerungsreste durch unsere Archäologen. Denn im wesentlichen wurde Assyrien durch die Katastrophe von 614-610 ausgelöscht. Und die zur Zeit Xenophons noch im Achämenidenreich lebenden assyrischen Heloten waren eine viel unbedeutendere Bevölkerungsgruppe als die Überreste Jener Völker ringsherum, die die assyrischen Militaristen einst zu Boden getreten und, wie sie glaubten, zermalmt hatten. 

In einer Zeit, in der selbst der Name und das Volkstum Kalachs und Ninives vergessen waren, war das von Assurbanipals, Heer etwa 639 v. Chr. gebrandschatzte Susa die Hauptstadt eines Reiches, dessen Herrschaft sich in jeder Richtung weit über die äußersten Punkte erstreckte, die jemals assyrische Plünderer erreicht hatten. Eine der Nebenhauptstädte dieses Reiches war Babylon, das 689 v.Chr. von Sanherib geplündert worden war. Die phönizischen Stadtstaaten, die von den Assyrern vom 9. bis 7. Jahrhundert unaufhörlich tyrannisiert und geschröpft worden waren, waren jetzt autonome und befriedigte Teile eines syrischen Universalstaates.

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Und selbst die syrischen und hettitischen Gemeinwesen des Innern, die anscheinend von den Assyrern völlig aufgerieben worden waren, hatten in hierokratisch verwalteten Tempelstaaten noch einen Schatten ihrer früheren Eigenstaatlichkeit bewahrt. In der Tat stand es zweihundert Jahre nach Assyriens Sturz fest,, daß seine Militaristen ihre Arbeit für andere getan hatten; vor allem aber gerade für diejenigen, welche es am verächtlichsten behandelt hatte.

Dadurch, daß sie die Hochlandvölker des Zagros und des Taurus aufrieben, hatten die Assyrer den kimmerischen und skythischen Nomaden ein Einfallstor in die babylonische und syrische Welt geöffnet; indem sie die zerschlagenen Völker Syriens an das entgegengesetzte Ende ihres Reiches verpflanzten, hatten sie die syrische Gesellschaft in die Lage versetzt, die babylonische, zu der sie selbst gehörten, zu erdrücken und schließlich aufzusaugen; dadurch, daß sie das Kerngebiet Vorderasiens mit Waffengewalt in eine politische Einheit zwangen, hatten sie den Boden für ihre »Nachfolgestaaten« — Medien, Babylonien, Ägypten und Lydien — und für den alleinigen Erben dieser Nachfolger, das Achämenidenreich, geebnet. Warum kam, wie diese Vergleiche und Gegensätze zeigen, das assyrische Ungeheuer am Ende seines langen Terrors so viel schlechter weg als seine Opfer? Die Opfer selbst konnten rückblickend diese gewaltige »Vertauschung der Rollen« nicht anders als aus dem »Neid der Götter« erklären.

»Siehe, Assur war wie ein Zedernbaum auf dem Libanon, von schönen Ästen und dick von Laub und sehr hoch, daß sein Wipfel hoch stand unter großen, dichten Zweigen ...
Und war ihm kein Zedernbaum gleich in Gottes Garten, und die Tannenbäume waren seinen Ästen nicht zu vergleichen, und die Kastanienbaume waren nichts gegen seine Zweige. Ja, er war so schön wie kein Baum im Garten Gottes.
Ich hatte ihn so schön gemacht, daß er so viel Äste kriegte, daß ihn alle lustigen Bäume im Garten Gottes neideten.
Darum spricht der Herr also: Weil er so hoch geworden ist, daß sein Wipfel stand unter großen, hohen, dichten Zweigen, und sein Herz sich erhob, daß er so hoch geworden war, darum gab ich ihn dem Mächtigsten unter den Heiden in die Hände, daß der mit ihm umginge und ihn vertriebe, wie er verdient hat mit seinem gottlosen Wesen, daß Fremde ihn ausrotten sollten, nämlich die Tyrannen der Heiden, und ihn zerstreuen, und seine Äste in den Bergen und in allen Tälern liegen mußten und seine Zweige zerbrachen an allen Bächen im Lande; daß alle Völker auf Erden von seinem Schatten wegziehen mußten und ihn verlassen.«

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Läßt sich nun in unserm Fall das Wirken des »Neides der Götter« aus dem Verhalten der geschlagenen Kreatur erklären? Auf den ersten Blick scheint es schwer zu sein, das Schicksal Assyriens zu verstehen. Denn man kann seinen Militaristen nicht nachweisen, daß sie in Trägheit versunken wären und »auf ihren Lorbeeren ausgeruht« hätten, wodurch die Mazedonier, Römer und Mamelucken anscheinend ihren Untergang herbeigeführt haben. Die Kriegsmaschinen dieser Völker waren zu der Zeit, als sie zertrümmert wurden, schon längst stehengeblieben, hoffnungslos veraltet und in sehr schlechtem Zustand.

Die assyrische Kriegsmaschine dagegen, die als einzige völlig zertrümmert wurde, zeichnet sich — was scheinbar ein Widerspruch ist — vor den anderen dadurch aus, daß sie bis zum Augenblick ihrer Zerstörung beständig und wirksam überholt, erneuert und verstärkt wurde. 

Das reiche kriegerische Genie, das im 14. Jahrhundert v.Chr., kurz vor dem ersten Schritt Assyriens zur Vorherrschaft in Vorderasien, den schwerbewaffneten Fußsoldaten und im 7. Jahrhundert, am Vorabend von Assyriens Vernichtung, den schwerbewaffneten berittenen Bogenschützen hervorbrachte, war auch in den dazwischenliegenden Jahrhunderten produktiv, ganz besonders aber während der letzten der vier Kriegsfolgen, mit denen der assyrische Militarismus die Welt überzog. 

Die starke Erfindungsgabe und das rastlose Streben nach Verbesserungen, die das assyrische Ethos der Spätzeit in seiner Anwendung auf die Kriegskunst auszeichnen, gehen unwiderlegbar aus den in den Königspalästen gefundenen Bas-Reliefs hervor. Auf diesen sind die Phasen der Entwicklung der assyrischen Kriegsausrüstung und Kriegstechnik während der letzten drei Jahrhunderte der assyrischen Geschichte mit sorgfältiger Genauigkeit in allen Einzelheiten im Bilde dargestellt.

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Auf Grund dieser Zeugnisse können wir für die Zeit vom Ende der dritten Kriegsfolge (um 825 v. Chr.) bis zum Ende der vierten, etwa über zweihundert Jahre später, die folgenden Verbesserungen feststellen. Nachdem man schon vorher — zweifellos in Nachahmung der Nomaden — den Fußsoldaten beritten gemacht hatte, ohne ihn jedoch von dem nunmehr hinderlichen Schilde zu befreien, begann man zur Zeit Assurnasirpals damit, ihn zum schwerbewaffneten berittenen Bogenschützen weiterzuentwickeln, indem man den Schild durch einen biegsamen Panzer ersetzte.

Daß jetzt auch der Reiter mit einem Panzer ausgerüstet werden konnte, war durch Verbesserung des Panzers selbst, und zwar in Form und Material, möglich geworden. Hatte er in früheren Zeiten in einem plumpen gefütterten oder ledernen Kaftan bestanden, der vom Hals bis zu den Knien reichte, so wurde er jetzt aus Metallschuppen angefertigt und bis zur Taille verkürzt. Die Beine des Reiters, die der Panzer somit nunmehr freiließ, wurden dafür durch Strümpfe, die bis zu den Oberschenkeln, und Stiefel, die bis an die Waden reichten, ersetzt.

Die gleiche Fußbekleidung erleichterte auch der Fußtruppe, die bis dahin nur Sandalen getragen hatte oder barfuß gegangen war, das Operieren in holprigem Gelände. In derselben Zeit wurde auch eine Reihe von Verbesserungen am Streitwagen vorgenommen. So wurden unter anderem die Räder vergrößert, der Kasten an den Seiten erhöht und die Mannschaft, die bisher aus einem Fahrer und einem Bogenschützen bestanden hatte, durch zwei Schildträger verstärkt. 

Auch die Form der Schirme aus Weidengeflecht, hinter denen die Bogenschützen zu Fuß ihre Deckung nahmen, wurden verbessert. Von der vielleicht bedeutendsten Verbesserung von allen erfahren wir jedoch nicht durch das bildliche Zeugnis der Bas-Reliefs, sondern durch die Inschriften. Und das ist die Einrichtung eines stehenden königlichen Heeres, das wahrscheinlich entweder von Tiglatpileser III. (747-727 v.Chr.) oder Sargon (722 bis 705) geschaffen wurde. Die Volksmiliz, die bisher der assyrischen Krone die Feldheere gestellt hatte, wurde jedoch durch das stehende Heer nicht ersetzt, sondern erhielt in ihm eine Kerntruppe. Nichtsdestoweniger muß das stehende Heer die Schlagkraft der gesamten assyrischen Streitmacht erhöht und für die oben erwähnten technischen Verbesserungen die größtmögliche Wirkung verbürgt haben.

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So hatten zur Zeit Assurbanipals (669-626 v.Chr.), am Vorabend der großen Katastrophe, zwei Jahrhunderte ständigen Fortschritts in der Kriegskunst ein assyrisches Heer erstehen lassen, das für jede Aufgabe gut vorbereitet und in eine Reihe spezialisierter 'Waffengattungen aufgegliedert war. Da gab es die Streitwagentruppe und die halbschweren Bogenschützen zu Pferde; die vom Helm bis zu den Stiefeln gepanzerten schweren Bogenschützen zu Fuß und die leichten Bogenschützen zu Fuß, die, nur mit Kopfband, Lendenschurz und Sandalen bekleidet, ihr Leben wagten; die Hopliten, die sonst wie die schweren Bogenschützen zu Fuß bewaffnet waren, aber an Stelle von Bogen und Köcher Speer und Schild hatten; und die Peltasten, die gleichfalls mit Speer und Schild ausgerüstet waren, jedoch an Stelle des Panzers einen durch gekreuzte Schulterstreifen gehaltenen Brustschild trugen.

Es gab wahrscheinlich auch ein Pionierkorps; denn es war sicherlich ein Belagerungstrain vorhanden, der allerdings nicht mit Katapulten, aber doch mit Sturmböcken und Rolltürmen ausgerüstet war. Und wenn diese Maschinen ihre Arbeit getan und Breschen in die Mauern einer feindlichen Festung geschlagen hatten, dann verstanden die Leiter militärischer Operationen, die stürmenden Abteilungen durch Pfeilsalven aus massierten Batterien von Bogenschützen zu decken. So ausgerüstet, war das assyrische Heer gleichermaßen zu Belagerungsoperationen, zum Gebirgskrieg oder zu offenen Schlachten bereit. Die Assyrer taten sich aber nicht nur auf technischem Gebiet, sondern auch in der Taktik und in der Strategie hervor. Sie glaubten fest an die entscheidende Wirkung der Offensive.

»Und ist keiner unter ihnen müde oder schwach, keiner schlummert noch schläft; keinem geht der Gürtel auf von seinen Lenden, und keinem zerreißt sein Schuhriemen. - Ihre Pfeile sind scharf und alle ihre Bogen gespannt. Ihrer Rosse Hufe sind wie Felsen geachtet und ihre Wagenräder wie ein Sturmwind. - Ihr Brüllen ist wie das der Löwen, und sie brüllen wie junge Löwen; sie werden daherbrausen und den Raub erhaschen und davonbringen, daß niemand ihn retten wird.«

Das war der Geist des assyrischen Heeres bis zum letzten Augenblick. So kämpfte es noch im Harran-Feldzug von 610 v.Chr., als die Hauptstadt des Reiches bereits im Sturm genommen und zerstört worden und damit seine Sache verloren war.

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Es wird jetzt deutlich geworden sein, daß das assyrische Heer am Vorabend seiner Vernichtung keineswegs im Zustand des mazedonischen Heeres im Jahre 168 v.Chr., des römischen im Jahre 378 n.Chr. oder des mameluckischen im Jahre 1798 war. Warum aber erlitt es dann eine schrecklichere Katastrophe als diese? Die Antwort lautet, daß es gerade die Schärfe seines kriegerischen Geistes war, die Assyriens Verderben noch verschlimmerte, als es schließlich über den Staat hereinbrach.

Es war vor allem die Politik unablässiger Angriffskriege und der Besitz eines Machtmittels, das es möglich machte, diese Politik in die Wirklichkeit umzusetzen, was die assyrischen Kriegsherren im vierten und letzten Stadium ihres Militarismus dazu verleitete, mit ihren Unternehmungen und Bindungen weit über die Grenzen hinauszugehen, in denen sich ihre Vorgänger gehalten hatten. Assyriens eigentliche und ursprüngliche Aufgabe war die, die Marken der babylonischen Welt auf der einen Seite gegen die barbarischen Hochländer im Zagros und Taurus und auf der anderen Seite gegen die aramäischen Pioniere der syrischen Kultur zu schützen.

Und die Erfüllung dieser Aufgabe nahm seine militärischen Hilfsmittel dauernd vordringlich in Anspruch. In den drei früheren Stadien seines Militarismus hatte es sich damit begnügt, an diesen beiden Fronten von der Verteidigung zum Angriff überzugehen, ohne jedoch diesen Angriff aufs Äußerste zu treiben oder seine Kräfte in anderen Richtungen zu verzetteln. Aber auch so führte schon das dritte Stadium, das das zweite und dritte Viertel des 9. Jahrhunderts v. Chr. umfaßt, zu bedeutenden Gegenunternehmungen. In Syrien kam es zu einer Koalition mehrerer Staaten, die den assyrischen Vormarsch 853 v.Chr. bei Karkar zum Stehen brachte. Und in Armenien erfolgte als ein noch furchtbarerer Gegenschlag die Gründung des Königreichs Urartu. Diese bislang noch barbarische kriegerische Macht entlehnte nun die assyrische Kultur, um sich gegen den Angriff zu einer Verteidigung unter gleichen Bedingungen zu rüsten.

Trotz dieser Warnungen konnte sich der ehrgeizige Tiglatpileser III. (746 bis 727 v.Chr.), der die letzte und bedeutendste der assyrischen Offensiven einleitete, nicht enthalten, nach militärischen Zielen zu streben, die Assyrien mit drei neuen Gegnern — Babylonien, Elam und Ägypten — in Konflikt brachten, von denen jeder einzelne unter Umständen eine ebenso große Kriegsmacht darstellen konnte wie Assyrien selbst.

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Als Tiglatpileser die vollständige Unterwerfung der syrischen Kleinstaaten in Angriff nahm, beschwor er damit für seine Nachfolger einen Zusammenstoß mit Ägypten herauf. Denn dieses konnte nicht gleichgültig bleiben gegenüber einer Ausdehnung des assyrischen Reiches bis an seine eigene asiatische Grenze; und es war in der Lage, die Absichten der assyrischen »Mehrer des Reiches« zu durchkreuzen, sofern und solange diese sich nicht dazu entschlossen, ihr Werk dadurch abzurunden, daß sie das gewaltige Unternehmen einer Unterwerfung von Ägypten selbst in Angriff nahmen.

Tiglatpilesers gewagte Besetzung des Philisterlandes im Jahre 734 v.Chr. mag eine strategische Glanzleistung gewesen sein; sie wurde auch mit der Unterwerfung Samarias im Jahre 733 und dem Fall von Damaskus im Jahre 732 belohnt. Aber sie führte später zu Sargons Zusammenstoß mit den Ägyptern an der syrisch-ägyptischen Grenze im Jahre 720 und zu einem gleichen Zusammenstoß Sanheribs im Jahre 700. Und diese ergebnislosen Begegnungen führten ihrerseits wieder dazu, daß Asarhaddon in den Feldzügen von 675, 674 und 671 v.Chr. ganz Ägypten, vom Delta bis zur Thebais einschließlich, eroberte und besetzte.

Dadurch wurde deutlich, daß die Assyrer wohl stark genug waren, ägyptische Heere zu schlagen und das Land zeitweilig zu besetzen, daß sie aber nicht in der Lage waren, Ägypten dauernd niederzuhalten. Asarhaddon war selbst auf einem weiteren Zuge nach Ägypten, als ihn der Tod 669 überraschte. Und obgleich die Erhebung Ägyptens, die daraufhin erfolgte, 667 von Assurbanipal unterdrückt wurde, mußte dieser Ägypten 663 doch noch einmal erobern. Um diese Zeit scheint die assyrische Regierung selbst eingesehen zu haben, daß sie sich in Ägypten in ein aussichtsloses Unternehmen eingelassen hatte. 

Und als Psam-metich zwischen 658 und 651 nach und nach die assyrischen Garnisonen vertrieb, tat Assurbanipal so, als wenn nichts geschehen wäre. Zweifellos handelte der König von Assyrien weise, wenn er sich so mit dem Verlust Ägyptens abfand. Aber diese späte Weisheit war ein Eingeständnis, daß die in fünf ägyptischen Feldzügen verausgabten Kräfte nutzlos verschwendet waren. Und der Rückzug Assurbanipals stellte nicht den Status quo ante 675 v.Chr. wieder her; denn der Verlust Ägyptens in den fünfziger Jahren des 7. Jahrhunderts war nur ein Vorspiel zu dem Verlust Syriens in der nächsten Generation.

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Die schließlichen Folgen von Tiglatpilesers Intervention in Babylonien waren noch ernster als die seiner vorwärtsstürmenden Politik in Syrien. Denn sie führte in gerader Linie zu der Katastrophe von 614-610 v.Chr. Der im Jahre 745 v.Chr. erfolgte Angriff Assyriens dürfte kaum vereinbar gewesen sein mit dem assyrisch-babylonischen Vertrag aus dem ersten Jahrzehnt des 8. Jahrhunderts v. Chr., in dem die gemeinsame Grenze durch freundschaftliche Übereinkunft festgelegt worden war, und zwar auf einer Linie, die entschieden günstig für Assyrien war. Tiglatpileser rechtfertigte wahrscheinlich seine Handlungsweise durch einen Hinweis darauf, daß die Anarchie, in die Babylonien seitdem verfallen war, auch auf die assyrische Seite der Grenze übergriff. Und nachdem er einmarschiert war, scheint er eine Art von Mandat von den Bürgern der Stadt Babylon erhalten zu haben, die in dem Beherrscher eines benachbarten seßhaften Volkes verwandter Kultur einen möglichen Beschützer des bürgerlichen Lebens in Babylonien gegen den wachsenden Druck der aramäischen und chaldäischen Nomaden sahen.

Es mag auch wahr sein, daß Tiglatpileser ebenso wie seine nächsten Nachfolger wirklich darauf bedacht waren, ihre Verpflichtungen gegenüber Babylonien möglichst einzuschränken und eine Annexion zu vermeiden. Tiglatpileser ließ 745 den König von Babylonien, Nabopolassar, noch auf dem Thron. Als dieser elf Jahre später starb, erhoben sich die chaldäischen Stämme gegen das assyrische Protektorat; und erst nachdem Tiglatpileser diesen Aufstand niedergeworfen hatte, machte er sich 729 zum »König von Babylon«. Diesem Beispiel folgte Salmanassar V. Dessen Nachfolger Sargon folgte ihm jedoch zunächst nicht, wurde aber durch einen zweiten, weit gefährlicheren Aufstand der Chaldäer ebenfalls veranlaßt, sich 710 zum »König von Babylon« zu machen. Und selbst da noch suchte sich der assyrische Sieger mit dem Rädelsführer der Chaldäer, Merodach-Baladan, zu verständigen.

Als dann 705 Sanherib seinem Vater Sargon folgte, verzichtete er bewußt auf die babylonische Krone; und selbst als 703 eine neue chaldäische Erhebung sein Eingreifen in Babylonien erforderlich machte, übertrug er sie zunächst einem assyrisierten babylonischen Prinzen und dann einem assyrischen Prinzen, der kein Thronfolger war.

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Erst nach dem großen Aufstand von 694-689 machte Sanherib der Unabhängigkeit Babyloniens förmlich ein Ende, indem er seinen Sohn — und designierten Nachfolger — Asarhaddon als assyrischen General­statt­halter einsetzte.

Diese Tatsachen beweisen doch wohl, daß die Assyrer gegenüber Babylonien eine Politik der Mäßigung betrieben; dann beweisen sie aber noch eindeutiger, daß diese Politik falsch war. Immer wieder mußte die assyrische Regierung gegen chaldäische Aufstände einschreiten, die angesichts ihrer dauernden Nachsicht nur immer heftigere Formen annahmen. Und wenn die assyrische Intervention das Wunder vollbrachte, Ordnung in das babylonische Chaos zu bringen, so geschah dies doch nur auf einem Umweg; diese Ordnung war nämlich im Grunde die unbeabsichtigte Folge einer antiassyrischen Bewegung, die auf dem Boden der Niederlagen kräftig gedieh und beständig an Umfang zunahm.

Die erste Stufe einer Entwicklung, die hundert Jahre anhielt und in dem großen medisch-babylonischen Bündnis ihren Höhepunkt hatte, war die politische Einigung aller chaldäischen Stämme Babyloniens unter der Führung des Häuptlings von Bit-Jakin, Merodach-Baladan, zwischen 731 und 721 v. Chr. Die nächste Stufe war ein Bündnis zwischen den Chaldäern und dem Königreich Elam, dessen Regierung durch Tiglatpilesers Intervention in Babylonien ebenso ernstlich beunruhigt worden war, wie Ägypten durch seinen Vorstoß in das Land der Philister.

Dank diesem Bündnis war Merodach-Baladan 721 in der Lage, seinen Einzug in die Stadt Babylon zu halten und dort etwa zwölf Jahre lang als König von Babylonien zu regieren, obwohl zu dieser Zeit den Bürgern der Hauptstadt die Herrschaft der Nomaden noch lästiger war als die der fremden seßhaften Macht. Auch war Merodach-Baladans politische Laufbahn nicht beendet, als ihn die Heere Sargons 710 aus Babylon vertrieben. Nach dem Tode seines assyrischen Besiegers im Jahre 705 knüpfte der unermüdliche Chaldäer Beziehungen zu den Arabern von Samija und zu denen des Hamat an und schickte durch ihr Gebiet eine Gesandtschaft zu einem andern - sehr entfernten - Feinde Assyriens, nämlich zu dem König Hiskia von Juda.

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Danach gelang es ihm 703 mit Hilfe seiner elamitischen Verbündeten, Babylon noch einmal zu besetzen; doch wurde er, noch ehe das Jahr zu Ende war, zum zweitenmal von den assyrischen Waffen vertrieben und starb einige Jahre später als Flüchtling in Elam. Die Beseitigung dieses Führers brachte aber die assyrische Regierung der Lösung des chaldäischen Problems nicht näher. Denn solange Elam sie noch unterstützte, trotzten die chaldäischen Stämme allen Anstrengungen Sanheribs, sie außer Gefecht zu setzen.

Als der assyrische Kriegsherr ihre Stammesgebiete im eigentlichen Babylonien besetzte und verwüstete, zogen sie sich in die Sümpfe und auf die Schlammbänke am Nordrand des Persischen Golfes zurück. Und als er 694 eine Flotte auf dem Tigris baute, sie mit Phöniziern bemannte und das assyrische Heer an Bord gehen ließ, um die Chaldäer in ihrer Wasserfeste durch amphibische Operationen zu vernichten, gab er damit nur den Elamiten Gelegenheit, seine Verbindungslinie anzugreifen, Babylon zu nehmen und seinen babylonischen Marionetten­könig gefangen wegzuführen. 

Auch nutzte es Sanherib nichts, daß er im nächsten Jahr Rache nahm, die Elamiten im Felde schlug und ebenfalls die Marionette, die sie wiederum auf den babylonischen Thron gesetzt hatten, gefangennahm; denn es gelang ihm nicht, Babylon wiederzugewinnen. Den unbesetzten Thron aber bestieg ein Mann von Charakter, Musezib-Marduk, dem es gelang, die Bürger der Hauptstadt von ihrer assyrien­freundlichen Politik abzubringen.

Der Übertritt der Stadt Babylon vom assyrischen ins chaldäisch-elamitische Lager im Jahre 693 war vielleicht das entscheidende Ereignis in der Entwicklung der antiassyrischen Front. Zwar blieben die Assyrer wie gewöhnlich Sieger über die vereinigten chaldäischen und elamitischen Streitkräfte und konnten am Ende Babylon eine Lektion erteilen, indem sie es 689 brandschatzten. Aber die Lehre, die die Stadt daraus zog, war das Gegenteil von dem, was man ihr hatte beibringen wollen. Durch diese rücksichtslose Gewalttätigkeit gegenüber einer Stadt, die der kulturelle Mittelpunkt ihrer Welt war, beschleunigten die Assyrer in Babylonien einen Verschmelzungs­prozeß, den die Babylonier allein niemals hätten durchführen können. In der Weißglut des gemeinsamen Hasses, den die Scheußlichkeiten der Assyrer hervorgerufen hatten, vergaßen die alte städtische Bevölkerung und die eingedrungenen Nomaden, Bürger und Stammesangehörige, die gegenseitige Abneigung, die sie bis dahin getrennt hatte.

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Sie verschmolzen miteinander zu einem neuen babylonischen Volk, das weder vergessen, noch vergeben konnte, was es von den Assyrern erlitten hatte, und keine Ruhe fand, bis es seinen Unterdrücker zu Boden geworfen hatte.

 

Auf dieser vorletzten Stufe der langen und tragischen Entwicklung, die Tiglatpileser 745 v.Chr. unbewußt angebahnt hatte, war die antiassyrische Bewegung in Babylonien so stark, daß sogar ein Angehöriger des assyrischen Königshauses unter ihren beherrschenden Einfluß geriet. Das war der eigene Bruder des assyrischen Königs, den dieser auf den babylonischen Thron gesetzt hatte. 

Um 654 fand Assurbanipal den Bestand des assyrischen Reiches bedroht durch eine feindliche Koalition zwischen der babylonischen Krone, den chaldäischen und aramäischen Stämmen des babylonischen flachen Landes, dem Königreich Elam, den nördlichen Arabern, verschiedenen südsyrischen Fürstentümern und dem neuerdings gegründeten »Nachfolgestaat« der assyrischen Herrschaft in Ägypten. Und an der Spitze dieses Bundes assyrienfeindlicher Mächte, der umfassender war als alle, die Merodach-Baladan oder Musezib-Marduk je zusammengebracht hatten, stand Assurbanipals eigener Bruder Samassumukin.

Die Handlungsweise dieses Abtrünnigen wird noch ungewöhnlicher erscheinen, wenn wir bedenken, daß er zu der Zeit mit Assurbanipals Wohlwollen und in Vollstreckung des politischen Testaments ihres Vaters Asarhaddon bereits fünfzehn Jahre friedlich auf dem babylonischen Thron gesessen hatte. Darüber hinaus hatte der Hauptverbündete des Erzrebellen, Elam, gerade — vielleicht nur ein Jahr, bevor Samassumukin sein Glück auf diese Karte gesetzt hatte — die schwerste Niederlage erlitten, die ihm die assyrischen Waffen je beigebracht hatten, und in der der König und sein rechtmäßiger Erbe ums Leben gekommen und beide Residenzstädte eingenommen worden waren. Diese Tatsachen lassen erkennen, wie stark die nationale Bewegung in Babylonien gewesen sein muß, daß sie Samassumukin aus seiner Bahn warf.

Auch diese Krise wurde vom assyrischen Heer siegreich überwunden. Der Verräter Samassumukin entging einem schlimmeren Schicksal dadurch, daß er sich selbst bei lebendigem Leibe in seinem Palast verbrannte, als das ausgehungerte Babylon sich 648 ergeben mußte.

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Und um 639 wurde Elam von den assyrischen Waffen der Todesstoß versetzt. Dieses kam dann unter die Herrschaft der persischen Hochländer aus seinem östlichen Hinterland und wurde das Sprungbrett, von dem die Achämeniden in einen leeren Sattel sprangen, als sie sich hundert Jahre später zu den Herren ganz Vorderasiens machten. 

So mußten die babylonischen Nationalisten in dem Kriege von 654-639 v. Chr. zwar ihr assyrisches und elamitisches Werkzeug opfern; aber sie erreichten ihr Ziel schließlich doch. Denn wenn die Achämeniden im 6. Jahrhundert den Sattel leer fanden, dann deshalb, weil der assyrische Reiter noch vor dem Ende des 7. Jahrhunderts herausgeworfen worden war. Unmittelbar nach Assurbanipals Tod im Jahre 626 erhob sich Babylonien unter einem neuen nationalen Führer. Und dieser Nabopolassar vollendete das Werk, das Merodach-Baladan begonnen hatte. In dem neuen Königreich Medien fand er einen Verbündeten, der den Platz Elams mehr als ausfüllte. 

Und so wurde Assyrien, das sich von dem Krieg von 654-639 noch nicht erholt hatte, in dem von 614-610 v.Chr. vollständig vernichtet. Aber selbst in seiner letzten Stunde konnte das assyrische Heer im Felde noch Siege gewinnen. Mit Hilfe der früheren Vasallen und jetzigen Gönner Assyriens, der Saiten, trieb es die Babylonier 610 auf Harran zurück; in einem Stadium dieses Vernichtungskrieges, in dem Harran selbst wie auch Ninive und Assur schon geplündert und verwüstet waren. So kämpfte das assyrische Heer, mit dem Euphrat im Rücken, im letzten uneroberten Winkel seines Mutterlandes. Aber dieser letzte Sieg muß sein Todeskampf gewesen sein; denn er ist das letzte Ereignis, das in den assyrischen Kriegs-Annalen verzeichnet steht.

Wenn wir auf die anderthalb Jahrhunderte immer erbitterterer Kriege zurückblicken, die mit Tiglatpilesers Thronbesteigung im Jahre 745 beginnen und mit dem Sieg des Babyloniers Nebukadnezar über den Ägypter Necho bei Karkemisch im Jahre 605 enden, fallen uns zunächst als Marksteine der Geschichte die »Todesstöße« auf, die Assyrien ganzen Gemeinwesen versetzte, indem es Städte ausradierte und ganze Völker gefangen wegführte. Wir denken an die Zerstörung von Damaskus im Jahre 732; die von Samaria im Jahre 722; die von Musasir 714; die von Babylon 689; die von Sidon 677; die von Memphis 671; die von Theben 663; die von Susa etwa 639.

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Von allen Hauptstädten, die in seiner Reichweite lagen, blieben nur Tyrus und Jerusalem unversehrt, bis Ninive selbst 612 zerstört wurde. Die Verluste, die Assyrien seinen Nachbarn verursachte, und das Elend, das es ihnen brachte, sind nicht abzuschätzen. Die assyrischen Kriegsherren haben zur Belehrung der Nachwelt in schamlos grausamen und naiv selbstgefälligen Erzählungen selbst Bericht über ihre Taten abgelegt. Treffender jedoch hätten sie ihre kriegerische Tätigkeit gekennzeichnet mit der sagenhaften Bemerkung jenes heuchlerischen Schulmeisters gegenüber dem Jungen, den er peitscht: »Es tut mir weher als dir.«

Die ausführlichen und prahlerischen Berichte über die Siege im Felde werden durch seltenere und kürzere, aber aufschlußreiche Mitteilungen über Wirren im Innern ergänzt, die uns eine Andeutung von dem Preis geben, um den die Siege erkauft werden mußten. Und wenn wir diese Hauschronik Assyriens aus der Zeit der Höhe seiner politischen Macht genauer durchsehen, werden wir es nicht mehr seltsam finden, |aß gerade die zahlreichen Siege seinen schließlichen Untergang herbeiführten.

Die immer stärkere militärische Anspannung rächte sich durch vermehrte Palastrevolutionen und Bauern­aufstände. Schon am Ende der zweiten Angriffsfolge im 9. Jahrhundert v. Chr. hatte sich, als Salmanassar III. 827 starb, sein Sohn gegen ihn erhoben und befanden sich die Städte Ninive, Assur und Arbela im Aufstand. Assur erhob sich 763—762 wieder, Arrapka 761—760, Gosan 759; und 746 hatte der Aufstand Kaiachs, der damaligen Hauptstadt, die Ausrottung der herrschenden Dynastie zur Folge. Tiglatpileser III. (745 bis 727 v.Chr.) war ein Homo novus, der seine Herkunft auch unter dem Deckmantel eines angenommenen historischen Namens nicht verbergen konnte. 

Und wenn er der assyrische Marius war, läßt diese Analogie zu den Römern darauf schließen, daß die Schaffung eines stehenden Heeres von Berufssoldaten ein Symptom des fortgeschrittenen Stadiums eines gesellschaftlichen Verfalls war. Wir wissen, daß in Italien zur Zeit des Marius das stehende Heer den Untergang des wehrhaften Bauerntums bedeutete, das durch ständige Einberufung zum Heeresdienst in immer fernere Gegenden entwurzelt worden war; dadurch wurde ein stehendes Heer sowohl möglich als auch notwendig.

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Möglich wurde es dadurch, daß man jetzt aus einem Sammelbecken unbeschäftigter »Arbeitskräfte« schöpfen konnte, und notwendig deshalb, weil diese Menschen, die ihren Lebensunterhalt auf dem Lande verloren hatten, eine andere Beschäftigung erhalten mußten, wenn verhindert werden sollte, daß Verelendung und Mißstimmung sie in eine Revolution trieben. In der Schaffung eines stehenden Heeres bei den Assyrern können wir den Versuch sehen, für das gleiche soziale Problem die gleiche militärische Lösung zu finden. Allerdings war das Assyrien Tiglatpilesers dabei nicht erfolgreicher als das Italien des Marius. Tiglatpilesers Nachfolger Salmanassar V. (727—722 v.Chr.) scheint sich wie die Vorgänger Tiglatpilesers mit der Stadt Assur überworfen zu haben. 

Sanherib wurde 681 von einem seiner eigenen Söhne ermordet, der anscheinend mit den babylonischen Nationalisten gemeinsame Sache machte. Und wir haben schon gesehen, wie Assurbanipals Thron und Reich 654 durch die Tat seines Bruders Samassumukin, Königs von Babylon, bedroht wurden, der sich an die Spitze einer antiassyrischen Koalition stellte. Damit fließen die beiden Linien der Aufstände und der Kriege in eine zusammen. Und nach Assurbanipals Tod verstärkte sich der zugleich von außen und von innen wirkende Druck immer mehr, bis er zum nunmehr unvermeidlichen Untergang führte. Während der letzten Jahre der assyrischen Geschichte sind äußere und innere Vorgänge kaum noch zu unterscheiden.

Das nahende Verhängnis warf seinen Schatten auf die Seele Assurbanipals selbst, als sich sein Leben dem Ende zuneigte.

»Ich habe die Regeln für die Totenopfer und für die Trankopfer für die Geister der Könige, meiner Vorfahren, welche nicht befolgt worden waren, wieder eingeführt. Ich habe Gutes getan an Göttern und Menschen, Toten und Lebenden. Warum verfolgen mich Krankheit und Schwäche, Elend und Unglück? Ich kann des Aufruhrs in meinem Lande und der Streitigkeiten in meiner Familie nicht Herr werden. Verwirrung und Ärger bedrücken mich stets. Elend des Geistes und des Fleisches beugt mich nieder, mit Weheschreien beschließe ich meine Tage. Am Tage des Stadtgottes, am Festtage, bin ich unglücklich; der Tod hat mich ergriffen und drückt mich nieder. Mit Klagen und Trauern verbringe ich Tag und Nacht; ich seufze: <O Gott, vergönne doch auch einem Ruchlosen, daß er dein Licht schaue!> Wie lange, o Gott, willst du mich so behandeln? Ich werde sogar zu denen gerechnet, die weder Gott, noch Göttin gefürchtet haben.«

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Dieses Bekenntnis ist durch seine persönliche Note bemerkenswert. Es ist rührend in seiner Offenheit und ergreifend in seiner Verwirrung. Das Auffälligste jedoch ist die in ihm zum Ausdruck kommende Blindheit. Ertappte sich der letzte der assyrischen Kriegsherren, wenn ihn solche Gefühle überwältigten, niemals dabei, daß er schweigend die Schreckensliste der von seinen Assyrern gebrandschatzten Städte und Völker durchging, die mit der Zerstörung Susas und der Vernichtung Elams durch ihn endete? Oder warf der gequälte Militarist die Last seiner Erinnerung verzweifelt ab, wenn er glaubte, unter ihr zusammenbrechen zu müssen? 

Sein Nachfolger Sinsariskun jedenfalls muß Augenblicke gehabt haben, in denen ihn solche Erinnerungen überwältigten und nicht mehr losließen; so wie sich bei den Athenern das böse Gewissen rührte, als sie die Nachricht von der Schlacht bei Ägospotamoi erfuhren.

»In Athen wurde das Unglück durch die Ankunft des Paralus bekannt; und ein Wehklagen verbreitete sich vom Piräus die Langen Mauern entlang in die Stadt hinein, als die Neuigkeit von Mund zu Mund ging. In jener Nacht schlief niemand. Man betrauerte die Toten; aber noch mehr sich selbst. Denn man fürchtete, dasselbe Schicksal erleiden zu müssen, das man selbst über die Melier (die lazedämonische Kolonisten waren), als man deren Stadt belagert und eingenommen hatte, über die Histiäer, Chier, Toronter, Äginaten und viele andere hellenische Völker verhangt hatte. Am folgenden Morgen hielt man eine Volksversammlung ab und beschloß, alle Häfen bis auf einen zu versperren, die Befestigungsanlagen für die Verteidigung herzurichten, Truppen zu ihrer Bemannung zusammenzustellen und überhaupt die Stadt für den Fall einer Belagerung abwehrbereit zu machen.«

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So wie der athenische Demos in diesem schrecklichen Augenblick im Jahre 405 v.Chr. empfunden und gehandelt hat, so muß auch der letzte König von Assyrien im Jahre 612 v.Chr. empfunden und gehandelt haben, als er die Nachricht erhielt, daß seine skythischen Verbündeten, auf die er seine letzte Hoffnung gesetzt hatte, zum Feinde übergegangen waren, und daß die vereinigten Streitkräfte der feindlichen Koalition unaufhaltsam gegen Ninive heranrückten.

Der weitere Verlauf der Geschichte ist in den beiden Fällen verschieden. Die Athener ergaben sich und wurden von großmütigen Siegern schonend behandelt. König Sinsariskun dagegen verteidigte Ninive, hielt bis zum bitteren Ende aus und ging mit seinem Volk zugrunde, als die Stadt beim dritten Angriff im Sturm genommen wurde. So brach das Verhängnis, das Assurbanipal weder durch seine späten reumütigen Gebete, noch durch eine teilweise vollzogene Abkehr von den Werken des Krieges zu den Künsten des Friedens abwenden konnte, über seinen Nachfolger herein. 

Assurbanipals gelehrte Bibliothek der babylonischen Literatur (das Museum einer Kultur, die der assyrische Militarismus selbst zugrunde gerichtet hatte) und seine ausgezeichneten Bas-Reliefs (von assyrischen Künstlern seiner Zeit gezeichnet und das wissenschaftliche Abschlachten von Menschen und Tieren mit den Mitteln der assyrischen Kriegstechnik darstellend) hatten aus Ninive um das Jahr 612 v. Chr. ein Schatzhaus gemacht, das sich bis zu einem gewissen Grad mit dem Athen von 405-404 vergleichen läßt. 

Die Schätze Ninives wurden unter seinen Trümmern begraben, um eine späte Nachwelt auf der Höhe einer Kultur, die sich nicht von der babylonischen Gesellschaft herleitet, zu bereichern. Aber wenn Ninive unterging, wo Athen überdauerte, so hatte das seine Ursache darin, daß Assyrien bereits Selbstmord begangen hatte, bevor es in seiner Substanz zerstört wurde. Die klar bezeugte Ausbreitung der aramäischen auf Kosten der alten akkadischen Sprache im assyrischen Mutterland während der letzten anderthalb Jahrhunderte des staatlichen Daseins Assyriens zeigt, daß das assyrische Volk auf dem Höhepunkt seiner militärischen Macht von seinen eigenen Gefangenen auf friedlichem Wege verdrängt wurde. Entvölkerung war der Preis, der für den Militarismus gezahlt werden mußte; und dieser Preis richtete schließlich das assyrische Heer ebenso zugrunde wie schon zuvor die übrige Gesellschaft.

Der unbezwingliche Krieger, der die Eroberung Ninives im Jahre 612 v. Chr. aushielt, war ein »Leichnam in Waffen«, der nur durch die gewaltige Rüstung aufrechtgehalten wurde, in der dieser Felo de se erstickt war. Als die stürmenden Meder und Babylonier diese steife, drohende Gestalt rasselnd und krachend vom Geröll der zerbrochenen Ziegelsteine in den Graben hinabwarfen, ahnten sie nicht, daß ihr schrecklicher Gegner in dem Augenblick, als sie ihren kühnen und anscheinend entscheidenden Schlag führten, schon kein lebender Mensch mehr war.

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