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5 - Der psychologische Slum 

II. Probleme der Gegenwart / Taylor-1972

1 Der psychologische Slum   2 Emotionelle Investitionen   3 Wetteifern    4 Die Arbeitssituation   5 Andere Bedürfnisse    6 Eine bedürfnisorientierte Gesellschaft

 

   1  Der psychologische Slum   

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Im Februar 1972 streikten Arbeiter an dem am stärksten automatisierten Fließband der Autoindustrie in der General-Motors-Fabrik in Lordstown, Ohio, nachdem eine lange Reihe von Sabotageakten an Autos und Maschinen vorausgegangen war. Sie streikten nicht für mehr Geld, sondern für eine interessantere und langsamere Arbeit. Viele wollten nach der, wie sie es nannten, <schwedischen Methode> arbeiten, bei der Arbeitsteams für ganze Fahrzeuge verantwortlich sind, statt immer wieder einen einzigen langweiligen Arbeitsvorgang ausführen zu müssen.

Dieser erderschütternde Vorschlag, daß die Arbeit wirklich interessant sein sollte und daß Geld nicht alles bedeutete, signalisierte ein neues wachsendes Bewußtsein der Tatsache, daß der Mensch komplizierte psychologische Bedürfnisse und die Entschlossenheit besitzt, aus dem psychologischen Slum herauszukommen, in dem die meisten von uns leben. 

Da die Arbeit einen so großen Teil der Zeit unserer wachen Stunden einnimmt, müssen die meisten unserer psychologischen Bedürfnisse bei der Arbeit befriedigt werden. Die lange Zeit vorherrschende Meinung, daß wir während unserer Mußezeit die vielen psychologischen Erniedrigungen kompensieren können, die wir bei der Arbeit erleiden, ist im Schwinden. Es ist ein epochemachender Augenblick. Die Zeit ist reif, die Frage nach dem, was menschliche Wesen brauchen, neu zu durchdenken: was sind die Bedingungen einer menschlichen und zivilisierten Existenz?

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs führte eine amerikanische Kinderärztin, Margaret Ribble, ein bezeichnendes Experiment durch.

Da sie festgestellt hatte, daß Kinder in einem Heim für mutterlose Kinder trotz guter ärztlicher Pflege und bester Ernährung schwächlich waren und kränkelten, ließ sie einer Gruppe von ihnen eine Sonderbehandlung angedeihen. Jeden Tag sollte die Krankenschwester für eine halbe Stunde ein Baby nehmen und es <bemuttern>, es auf dem Arm wiegen, liebkosen und streicheln. Das Ergebnis war dramatisch: die Babys wurden munter und nahmen an Gewicht zu. Früher hatten viele Atem­beschwerden gehabt, diese verschwanden jetzt. Die Sterblichkeitsquote fiel steil ab.

Wie Dr. Ribble in der Folge bewies, brauchen Babys zur Entwicklung nicht nur fühlbare Reize, sondern sie entwickeln sich ohne diese regelrecht zurück. Im frühen Leben fehlt den Nerven noch ihre äußere Myolinscheide, die wie die Isolierung eines elektrischen Drahts nötig ist, wenn der Nerv erfolgreich funktionieren soll. Bei den nicht liebkosten Kindern verschwand das noch vor ihrer Heimzeit entstandene Myolin wieder. 

Margaret Ribble wies ferner darauf hin, daß das Gefühl des Geschaukelt-Werdens für die Entwicklung des Atmungsmechanismus notwendig ist, was die Atembeschwerden erklärte. Spätere Arbeiten ergaben, daß menschliche Wesen ein Bedürfnis haben, <gehalten zu werden>, und daß dieses Bedürfnis bis ins Erwachsenenalter andauert: zweifellos steht das in Zusammenhang mit der Tatsache, daß das Kind im Mutterleib sanft, aber sicher gehalten wird. Dieses Bedürfnis ist die Ursache des Liebkosens und Umarmens im Erwachsenenalter, um Zuneigung auszudrücken.

Das Interessanteste an diesem Experiment ist meiner Ansicht nach die Art und Weise, wie hier unser außergewöhnliches Unwissen über menschliche Bedürfnisse verdeutlicht wird. Da wir alle über Hunger und Durst, über das Bedürfnis nach Schlaf und nach Atemluft Bescheid wissen, glaubt man gemeinhin, daß alle menschlichen Bedürfnisse verstanden werden. 


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Doch gerade der so offensichtliche Fall der Nahrung zeigt, daß wir erst in allerletzter Zeit die Bedeutung der Vitamine, des Proteins oder einer gesunden Diät erkannt haben. Obwohl wir sicherlich einen eingebauten Mechanismus besitzen, der uns zum Essen antreibt und der uns vorm Verhungern bewahrt, wissen wir doch keineswegs instinktiv, was wir nötig haben. Ebenso besitzen Mütter im allgemeinen einen gesunden Instinkt, ihre Babys aufzunehmen und sie zu <bemuttern>, und dennoch haben Kinderärzte bei einer ganzen Generation von Kindern dadurch ungeahnten Schaden angerichtet, daß sie darauf drängten, man solle sie in ihren Betten lassen und sie nur nach <Plan> aufheben und füttern, ganz gleich, wie sehr sie auch schreien mochten.

Ein wenig Weisheit ist eine gefährliche Sache.

Wenn wir aber schon bei so offensichtlichen Alltagsbedürfnissen wie dem Füttern und Bemuttern nicht auf dem laufenden sind, wie viel schlimmer ist die Situation, wenn es um schwerer verständliche Bedürfnisse geht? Heute haben die Menschen wenigstens eine ungefähre Vorstellung von ihren Ernährungsbedürfnissen und passen auf, daß ihre Kost angemessen ist. Wie viele Menschen aber könnten eine Liste ihrer psychischen Bedürfnisse aufstellen, um danach zu beurteilen, ob ihre Situation befriedigend ist? Man kann ihnen dafür keine Schuld geben, da über das Thema noch so wenig geforscht und geschrieben wurde. 

Vor mehr als einem Vierteljahrhundert argumentierte der berühmte Anthropologe Bronislaw Malinowski, daß ein Katalog der menschlichen Bedürfnisse der erste Schritt zu einer gültigen Kulturtheorie sei. Aber sein Hinweis wurde nicht beachtet. Wenn die Menschen jedoch Langeweile und Frustration empfinden, können wir unterstellen, daß ihre psychischen Bedürfnisse nicht erfüllt wurden.

Daher möchte ich in diesem Kapitel einige fundamentale Punkte hinsichtlich unserer psychischen Bedürfnisse aufstellen. 

Derartige Bedürfnisse fallen in zwei Gruppen: Grundbedürfnisse wie Zuneigung, die genauso für höhere Tiere wie für den Menschen gelten, und die komplizierten Bedürfnisse, die sich aus dem menschlichen Ich ergeben, wie etwa das Bedürfnis nach Selbstachtung oder das Bedürfnis, eine Identität zu erlangen.


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Weil der Mensch ein kompliziertes Vorderhirn entwickelt hat, das des abstrakten Gedankens fähig ist, wird er von derartigen Problemen gequält. Er hat sozusagen abstrakte Bedürfnisse geschaffen. Obwohl sie schwer zu definieren sind, sind sie von großer Bedeutung für seinen Geistesfrieden. Die Psychiater verwenden einen großen Teil ihrer Zeit (und zwar ziemlich erfolglos) auf den Versuch, mit ihnen fertig zu werden. Diese komplizierten Bedürfnisse werde ich in einem späteren Kapitel diskutieren.

Doch schon bei der Erörterung der Grundbedürfnisse müssen zuvor zwei allgemeine Feststellungen getroffen werden. Erstens gibt es bei der Befriedigung eines jeden Bedürfnisses ein Optimum. Zu viel Nahrung ist fast genauso schlecht wie zu wenig. Selbst Vitamine werden gefährlich, wenn man zu viele einnimmt. Umgekehrt werden Metalle, die wir für giftig halten, wie Blei und Magnesium, in Spurenmengen von unserem Körper gebraucht. Das gleiche scheint für die psychische Ebene zu gelten: überwältigende Elternliebe kann genauso schädigen wie zu wenig. Der Punkt scheint kaum der Erwähnung wert zu sein, doch machen wir den gleichen Fehler auch auf anderen Gebieten. Die Philosophie des Wirtschaftswachstums gründet sich auf die Annahme, daß es keine Grenze für die Warenmengen gibt, die der Mensch in seinem ureigenen Interesse konsumieren sollte. Aber vielleicht gibt es eine optimale Menge, über die hinaus wir uns ekeln? Ich werde darauf zurückkommen.

Zweitens sind Bedürfnisse nicht das gleiche wie Wünsche. Wir können Eiskrem und Süßigkeiten wünschen, aber Protein oder Vitamine brauchen. Oder noch unbequemer, wir könnten mehr Unabhängigkeit wünschen, während wir mehr Beaufsichtigung brauchen und umgekehrt. Dennoch wird dieser Punkt weitgehend ignoriert. Unsere Gesellschaft nimmt im allgemeinen an, daß Dinge dann und nur dann zur Verfügung gestellt werden sollten, wenn es danach eine Nachfrage gibt. Meine Behauptung, daß nicht die Nachfrage, sondern das Bedürfnis das Kriterium gesellschaftlicher Aktion ist, stellt einen ganzen Bereich hitzig verteidigter Annahmen in der modernen Gesellschaft in Frage. Natürlich zieht sogar unsere Gesellschaft die Grenze bei der Erfüllung von Forderungen, wenn ein moralisches Vorurteil einbezogen ist — wie bei Rauschgiften, Pornographie und vorehelichem Sex. Und sie kontrolliert den Verkauf von Giften (obwohl viele Länder den Verkauf von Waffen nicht überwachen). Abgesehen davon ist die Nachfrage König.

Wir wollen jetzt die grundlegendsten aller menschlichen und faktisch aller animalischen Bedürfnisse außerhalb der psychologischen studieren, nämlich das Bedürfnis nach Zuneigung und das Bedürfnis, etwas zu tun, den <Meisterschaftstrieb> wie ihn einige Psychologen genannt haben.


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   2   Emotionelle Investitionen    ^^^^

 

Die Menschen besitzen, wie jedermann weiß, ein starkes Bedürfnis zu lieben und geliebt zu werden. Es ist vielleicht leichter zu verstehen, daß die Menschen das Bedürfnis haben, geliebt zu werden, und wenn die Psychiater eine Sache kristallklar herausgestellt haben, dann die, daß ein ungeliebtes Kind dauernden Schaden davonträgt. 

Aber der Gefangene, der in seiner Zelle eine Maus füttert, und die alte Jungfer mit ihren Hunden und Katzen demonstrieren ebenso wie die Mutter mit ihrem Baby, daß Männer — und vielleicht noch mehr Frauen — das Bedürfnis zur Liebe haben.

Von hier aus ist es offenkundig, daß eine Gesellschaft, die die Bildung von Liebesbeziehungen erschwert oder bereits bestehende Beziehungen trennt, unbefriedigend und verbesserungsbedürftig ist. 

Wenn wir heute hören, daß Männer in den viktorianischen Arbeitshäusern von den Frauen getrennt wurden, so daß sich die Eheleute nie trafen, empfinden wir einen Schauer des Widerwillens über so viel Unmensch­lichkeit. Aber nicht nur die Entscheidungen von Bürokraten, sondern auch das Schema der Gesellschaft als ganzes kann Einfluß auf die Möglichkeiten nehmen. So sehen wir zum Beispiel, wie das Zerbrechen der Großfamilie* Großeltern von ihren Kindern und Enkeln trennt (im Vergleich zur vorindustriellen Gesellschaft), ganz zu schweigen von der Trennung von Vettern und so weiter. 

* Die Anthropologen unterscheiden die <Kernfamilie>, die aus den Eltern und ihren Kindern besteht, von der <Großfamilie>, die Großeltern, Onkel und Tanten, Vettern ersten Grades und so weiter einschließt.


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Und doch empfehlen wir, Familien aus Slums in neue Städte umzusiedeln, und sind dann erstaunt festzustellen, daß Menschen zögern, das Gebiet zu verlassen, in dem all ihre Freunde und Verwandten leben. Oder wir können an das Mädchen denken, das in die große Stadt zieht und allein in einem Wohnschlafzimmer lebt oder schlimmer noch an die alte Jungfer oder Witwe in einer derartigen Situation. »Man kann es sich nicht vorstellen, ehe man es selbst erlebt«, sagte eine von ihnen dem britischen Soziologen Peter Townsend, »aber die Einsamkeit ist das Schlimmste, was man im Leben erleiden kann.«

Sozialbehörden haben kürzlich damit begonnen, das Ausmaß der Einsamkeit in der modernen Gesellschaft aufzudecken. Trotz des Vorhandenseins von Klubs und anderen Organisationen, durch die sich Menschen anfreunden oder Bekanntschaften schließen können, bleiben viele Menschen aus Mangel an Entschlußkraft, Mangel an Geld oder aus anderen Gründen einsam.*

Die Menschen formen nicht nur emotionelle Bindungen zu anderen Menschen und zu Tieren, sondern auch solche zu Organisationen (wie ihrem Regiment, dem Klub, der Fußballmannschaft, Schülervereinigungen und manchmal sogar der Firma, für die sie arbeiten); sie entwickeln diese Bindungen auch zu Häusern, Städten, Landschaften, Regionen und ganzen Ländern. <Lokale Bindungen> ist eine Phrase, die immer wieder auftritt, wenn die Zentralregierung einen Plan durchsetzen will, dem sich die Menschen in dem betreffenden Gebiet widersetzen. 

Beispielsweise manifestierte sich ein starkes Gefühl, als in Großbritannien seit Jahrhunderten bestehende County-(Grafschafts-)Grenzen ohne überzeugenden Grund geändert wurden. Als britische Soldaten im Zweiten Weltkrieg in Nahost in der Hitze schmachteten, träumten sie von einer <Weißen Weihnacht>, obwohl sie wahrscheinlich über den Schnee geflucht hätten, wenn sie zu Hause gewesen wären. Das vielleicht dramatischste Beispiel dieser emotionellen Investition erlebt man, wenn Behörden beschließen, ein Tal zu überfluten, um einen Stausee zu schaffen, und die Bewohner des Tals zur Räumung zwingen. 

  * Siehe Townsend, The Family Life of Old People, Houtledge and Kegan Paul, 1957.


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Aus dem gleichen Geist widersetzen sich Menschen der Zerstörung der Landschaft durch Autostraßen, Flughäfen und anderen nicht landschafts­harmon­ischen Veränderungen. Die Menschen entwickeln auch Bindungen zu Verhaltensweisen (zum Beispiel der traditionellen Gewohnheit der Briten, die sich noch vor einer Generation zum Dinner umzogen) und vielleicht sogar zu Ideen und Prinzipien — und ganz bestimmt zu Bewegungen wie der Gewerkschafts­bewegung, der Geburtenkontrolle, der Weltkirchenbewegung und so weiter.

Daß solche Bindungen auftreten, ist hinreichend bekannt; ich versuche hier herauszustellen, daß sie einen wesentlichen Faktor in der menschlichen Befriedigung bilden. Dem Menschen, der nur wenige derartige Bindungen besitzt, fehlt etwas. Wenn das seiner eigenen Unfähigkeit, emotionelle Bindungen herzustellen, zuzuschreiben ist, sagen wir, er ist schizophren; er wird wahrscheinlich in psychiatrischer Betreuung oder im Gefängnis enden.* Umgekehrt entwickelt der emotionell gesunde Mensch viele und verschiedenartige emotionelle Bindungen. Die Beziehung erstreckt sich auf beide Richtungen: er entwickelt sie, weil er emotionell gesund ist, und seine Fähigkeit, weiterhin normal zu sein, wird durch seine emotionellen Investitionen gestützt, die ihm einen emotionellen Gewinn und einen Zweck (oder Zwecke) im Leben geben.

Doch wollen wir uns jetzt vom Individuum der Gesellschaft zuwenden. 

Wir können sofort erkennen, daß einige Gesellschaften derartige emotionelle Investitionen erleichtern und andere sie behindern. Wir können sogar sagen, daß eine gesunde Gesellschaft als eine Gesellschaft definiert werden kann, in der es ein reiches Netz derartiger Beziehungen gibt, und eine kranke als eine, in der dieses Netz dünn und verarmt ist. 

*  Der Ausdruck <schizophren> oder <gespaltener Geist> bezeichnet eine Trennung des Gefühls von Gedanken und Handeln und nicht, wie oft angenommen wird, eine <gespaltene Persönlichkeit> im Sinne eines Alternierens zwischen zwei Charakter­schemata. Einen typischen Fall findet man bei dem Mörder, der nicht nur nichts empfindet, wenn er seine Familie erschlägt, sondern der gleich unberührt bleibt, wenn er sein eigenes Todesurteil hört.


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Eine Gesellschaft, in der die Menschen ihren Wohnsitz häufig wechseln und in der es keine Großfamilien gibt, ist wahrscheinlich emotionell ausgehungert. Aber gerade das tut unsere Gesellschaft. Sie zwingt den Menschen eine emotionelle Armut auf, die im schlimmsten Fall auf bitteres Elend hinausläuft.

Wenn ich diesen Punkt allzu stark zu betonen scheine, dann deshalb, weil die Menschen ihm gegenüber eigenartig empfindlich sind. Wir erkennen, daß emotionelle Investitionen bestehen, doch gehen wir nicht weiter. Wir erkennen nicht, daß sie ein zentraler Bestandteil des persönlichen Glücks sind und daß es Sache der Gesellschaft wäre, sie sehr ernst zu nehmen. Wir mißtrauen den Gefühlen und neigen dazu, sie als <bloße Sentimentalität> abzutun. Was heißt aber >bloß<? Das Denken ist viel eher >bloß< als das Fühlen, das sich in der Evolutionsgeschichte viel früher entwickelt hat. Wenn man also plant, ein Tal zu überfluten (um zu unserem Beispiel zurückzukehren), fühlt man allgemein: schlimm für die Bewohner, aber der Wunsch der Menschen, sich zu duschen und ihre Autos zu waschen (der hinter dem Bedürfnis für weitere Wasserreserven liegt), ist vorrangig. 

Ist das wirklich so? 

Sicher, Trinkwasser und Wasser zum Waschen sind sehr wesentlich. Aber die weiteren Verwendungen von Wasser erzeugen weit weniger menschliche Befriedigung als die Bindung der Menschen an ihre Heime, Gärten und die vertraute Umgebung, ganz zu schweigen von der Vernichtung der Gemeinschaft als solcher. Einigen hundert Menschen wird etwas sehr Böses angetan, um einer viel größeren Zahl eine fast unmerkliche Verbesserung zu bringen. Aber diese Formulierung untertreibt die Situation. Denn der Wasserverbraucher kann für seine Bedürfnisse andere Lösungen finden; der Mensch jedoch, der ein Leben lang an einem bestimmten Ort verbracht hat, kann auf keinen Fall auch nur einen Bruchteil dessen ersetzt bekommen, was er verloren hat, denn er hat keine zweite Lebenszeit zu investieren.

Ein weiterer Punkt: Die Menschen schätzen, was sie lieben, sie versuchen, es zu verbessern und zu schützen. Wenn Organisationen ihren Mitgliedern keine Gelegenheiten bieten, ihnen zu dienen und für sie etwas beizusteuern, verlieren sie die Unterstützung. Daher müssen wir uns fragen, wie weit die Gesellschaft die Gelegenheiten für Dienste anbietet, und zwar nicht nur für die Gesellschaft selbst, sondern für all jene spezifischen Objekte, Ideen und Schemata, denen die Menschen ihre Liebe schenken.


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Genauso, wie sich das Bedürfnis zu lieben ganz allgemein zu der größeren Idee der emotionellen Investition ausweitet, bildet das Bedürfnis geliebt zu werden ganz einfach den Kern einer größeren emotionellen Realität. Die Menschen brauchen das Gefühl, daß ihre Familie, ihre Gemeinde, ihr Klub oder Regiment und letzten Endes die Gesellschaft selbst sie schätzt und braucht. Bei der Diskussion dieses Aspekts werden im allgemeinen die Begriffe Prestige einerseits und soziale Dienstleistung andererseits verwendet. Es ist ein Merkmal für die schlecht organisierte Art unseres Denkens, daß diese beiden Vorstellungen so wenig miteinander verknüpft zu sein scheinen.

Schließlich könnte hinzugefügt werden, daß die Menschen eine gesunde emotionelle Beziehung zu sich selbst brauchen. Ein Mensch, der von sich selbst angewidert ist, ist in schlechter Verfassung. Freud prägte den Ausdruck >Narzißmus<, um solche Beziehungen zu beschreiben. Er wies darauf hin, daß der Narzißmus zwar eine pathologische Form annehmen kann, daß es aber eine grundsätzliche Beschäftigung mit dem Selbst gibt, die natürlich und in der Tat sehr wesentlich ist. Die Einwirkung der Gesellschaft auf die Eigenliebe ist zweifacher Natur. Wenn sie einen Mann zu Handlungen zwingt, die ihn abstoßen, versetzt sie ihm einen psychischen Schlag, von dem er sich, wenn überhaupt, nicht leicht erholen wird. Und wenn die Beziehung zum Selbst während seiner Kindheit geschädigt wurde, wird sein ganzes Leben Spuren davon zeigen. Diese Fragen erfordern jedoch eine Beschäftigung mit dem schwierigen Thema des Ich, mit dem ich mich in einem späteren Kapitel befassen werde. Im Augenblick wollen wir bei den menschlichen Grundbedürfnissen bleiben.

Ein Kommentar ist nötig. 

Man stellt oft fest, daß die Liebe als eines der Gefühle geschildert wird, die anderen sind Furcht, Zorn, Eifersucht und so weiter. Eine kurze Überlegung zeigt jedoch, daß Furcht, Zorn und so weiter Reaktionen auf eine Situation sind: die Liebe ist das einzige Gefühl, das ein Bedürfnis einschließt, und sollte daher nicht auf eine Stufe mit den Reaktionen gestellt werden. Aber es gibt noch ein weiteres menschliches Grundbedürfnis, das mehr und mehr frustriert wird: das Bedürfnis zu wetteifern, zu kämpfen.


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   3   Wetteifern    ^^^^

 

Der tiefsitzendste aller Mechanismen ist die Neigung, etwas hinsichtlich der Umwelt zu tun, mit ihr fertig zu werden. Die niedrige Amöbe zieht sich aus einer unbehaglichen Umgebung, wie Säure oder Hitze, zurück und sucht eine optimale Umgebung. Vögel bauen sich Nester. Auf gleiche Weise ist der Mensch ein Geschöpf, das dem Handeln verhaftet ist. Mehr noch, er fühlt sich zum Kämpfen nicht nur gezwungen, er freut sich positiv daran. 

Das ist der Grund, warum Menschen Berge erklettern, Sport und Spiele betreiben und so weiter. Das geschieht nicht wegen des Endresultats, sondern wegen der Freude an der Betätigung selbst. Natürlich sind einige Spiele <professionalisiert> worden, und selbst Amateure können um einen Preis spielen, das ändert aber nichts an der Tatsache, daß viele Menschen Spiele wie Golf nur der <Übung> halber, oder genauer gesagt, um der Freude willen betreiben, eine Geschicklichkeit auszuüben.

Das mag als Tatsache auch von Tieren gelten: Ratten, die gelernt haben, Futterkügelchen dadurch zu bekommen, daß sie einen Hebel drücken, machen das oft noch weiter, wenn sie die Kügelchen frei erhalten. Das tierische Spiel ist in der Tat wie das menschliche ein Beispiel dafür, daß Funktionen um ihrer selbst willen ausgeübt werden. Die Wahrheit dieses Fakts zeigt sich auf einer einfachen physischen Ebene darin, wie Kinder ihre neu erworbene Geschicklichkeit des Balancierens beweisen, indem sie oben auf einer Mauer oder einer schmalen Stelle gehen — und jeder, der einmal kleine Kinder betreut hat, weiß, wie sehr sie auf solchen Gelegenheiten bestehen.

Ein derartiges Verhalten schlägt ein großes Loch in die Theorien der Verhaltenspsychologen, die behaupten, daß alle Geschöpfe, den Menschen eingeschlossen, nur handeln, um eine Belohnung zu erhalten. Machen die Ratten, wenn sie in ihren Käfigen den Hebel drücken, das der Nahrung oder das Spaßes an der Sache wegen?


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Wenn wir übereinstimmen, daß das Wort >Belohnung< auch den >Spaß an der Sache< einschließt, trifft die Behauptung zu. Und im Fall des Menschen wenigstens gibt es zusätzliche Belohnungen in der öffentlichen Bewunderung und Billigung. Der Junge, der in den Fluß springt, macht das in erster Linie des Spaßes halber, vielleicht auch, weil er bei einem gut ausgeführten Sprung das Gefühl einer Leistung hat und weil der eigene Beifall auch eine Art Belohnung ist.

Was ich als <wetteifern> bezeichne, korrespondiert eng mit dem, was einige Psychologen den <Meisterschaftstrieb> genannt haben. In früheren Schriften habe ich diesen Ausdruck selbst verwendet. Heute glaube ich, daß er zu eng gefaßt ist. Wir befassen uns mit einem Bereich von Tätigkeiten, die mit einer einfachen physischen Manipulation beginnen — der Freude des Kindes, Teig zu formen, die zu der Geschicklichkeit des Modellbauers, des Uhrmachers und so weiter führen kann. Die Skala erstreckt sich von der Körperbeherrschung (wie beim Sprung ins Wasser) bis zu Sport und Spiel, wo Planung und Strategie die körperliche Geschicklichkeit zu ergänzen beginnen.

Industriemanager, Anwälte, die einen Fall führen und so weiter, gewinnen ihre Befriedigung durch den >Kampf< auf dieser Erkenntnisebene, das ist vielleicht auch die Quelle der Freude des Wissenschaftlers. Ich glaube, daß wir auch einen Verhaltenswetteifer unterscheiden können, wie etwa in der Rhetorik oder sogar in den Leistungen eines Casanova oder eines Politikers. Es ist aber nicht nötig, die Analyse bis zu ihren wissenschaftlichen Grenzen voranzutreiben. Meine Absicht ist es, die tiefe Bedeutung des Wetteiferverhaltens für die menschliche Befriedigung festzuhalten, und zwar als Einleitung zu der Frage, wie weit die moderne Gesellschaft dieses Bedürfnis tatsächlich befriedigt.

Man kann die Frage dahingehend zusammenfassen, daß Menschen auf eine Herausforderung reagieren und das gern tun; sie verlangen eine Herausforderung, auf die sie reagieren können. Die Herausforderung darf jedoch nicht lächerlich leicht und auch nicht unmöglich schwierig sein. Es macht beispielsweise keine Freude, Tennis mit einem Gegner zu spielen, der so viel besser ist, daß man überhaupt keinen Ball zurückgeben kann, und auch keine, mit einem <Nichtskönner> zu spielen. Tennisspieler wählen sich die Gegner so, daß sie <ein gutes Spiel> haben, das heißt ein hart umkämpftes.


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Wie wir aber gleich im einzelnen sehen werden, tendiert unsere Gesellschaft dazu, den Menschen solche Herausforderungen zu bieten, die zu schwierig oder viel zu leicht sind. So langweilt sich der Arbeiter, der am Fließband immer wieder die gleiche Tätigkeit verrichtet, oder das Mädchen, das Schachteln verpackt oder Pralinen verziert, weil die Aufgabe zu einfach ist. Der Fabrikdirektor will verständlicherweise nicht, daß einige Arbeiten gut und andere schlecht ausgeführt werden; er versucht also, die Arbeitsvorgänge zu vereinfachen, bis sie auch von den ungeschicktesten und unintelligentesten Arbeitern ausgeführt werden können, wodurch er den geschickteren und intelligenteren Langeweile und Frustration garantiert. 

Am anderen Extrem können wirtschaftliche Prozesse einen Mann aus seinem Arbeitsplatz verdrängen und ihn vor die unüberwindliche Schwierigkeit stellen, sich zu erhalten. In einer primitiveren Gesellschaft könnte er mit der Situation fertig werden, indem er beispielsweise ein Stück Land rodet und es bebaut; in der modernen Gesellschaft stehen solche Lösungen in der Regel nicht zur Verfügung.

Wie die zwei Beispiele beweisen, kann die Inkompetenz unserer Gesellschaft, das Wetteiferbedürfnis zu befriedigen, auf einer einfachen alltäglichen Ebene eintreten; sie können auch das ganze Leben eines Menschen betreffen; dazwischen gibt es verschiedene andere Möglichkeiten. Deshalb sind Hobbys, der Sport und sonstiger Zeitvertreib so beliebt, die es dem Individuum ermöglichen, wenigstens in einem gewissen Ausmaß das wiederherzustellen, was in seinem Leben fehlt. Der Kopfarbeiter, dem die Gelegenheit zur körperlichen Meisterschaft fehlt, mag Fußball spielen oder am Wochenende segeln, der Handarbeiter mag über seinem Totoschein grübeln. Der weite Bereich der möglichen Hobbys und Freizeitgestaltungen erinnert uns übrigens daran, daß die Vorlieben der Menschen ziemlich spezifisch sind. Jeder sucht eine exakte Verbindung von körperlicher und geistiger Anstrengung, die exakte Ebene der Schwierigkeit und die spezifischen Typen von Geschicklichkeit, die seiner Veranlagung entsprechen. Im idealen Fall sollte die Arbeit daher eng den angeborenen Gegebenheiten eines Menschen angepaßt sein.


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Grob gesehen ist das oft der Fall. Es ist sinnlos, wenn ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer eine Arbeit gibt, für die er geistig und körperlich völlig ungeeignet ist, und nur ein Narr wählt einen Job oder einen Beruf, in dem er keine Hoffnung hat, etwas zu leisten. Im Detail ist das Bild aber viel weniger befriedigend. Es ist für einen Arbeitgeber sehr leicht, einen Mann, der in seiner Arbeit gut ist, in der gleichen Position zu beschäftigen, auch wenn diese für seine Fähigkeiten tatsächlich viel zu begrenzt ist. Arbeitgeber neigen dazu, den Mann zu entlassen, der in seiner Arbeit schlecht ist, weil sich das deutlich zeigt, sie seufzen aber erleichtert, wenn eine Arbeit gut getan wird — und denken nicht weiter darüber nach.  

   

   4   Die Arbeitssituation    ^^^^

 

Wenn Menschen versuchen, ihre Umgebung zu nützlichen Zwek-ken zu manipulieren, so nennen wir das Arbeit. In erster Linie ist es also die Arbeitssituation, in der wir die benötigte Befriedigung erwarten müssen, von der ich gesprochen habe. Wir wollen daher überlegen, wie die Arbeit heute die menschlichen Bedürfnisse erfüllt, obwohl uns das in Bereiche der Bedürfnisse führt, die wir bisher noch nicht erörtert haben.

Stellt die Arbeit zum ersten eine Herausforderung an unser Geschick und an unsere Fähigkeiten? Für Akademiker und Akademikerinnen lautet die Antwort im allgemeinen >ja<.* Der Rechtsanwalt, der einen Fall vertritt, der Chirurg, der Schriftsteller, der Politiker, der Wissenschaftler ... sie alle können ihre ganze Kraft auf ihre Probleme ansetzen und sie, wie der Fall eben liegen mag, lösen oder nicht. Am anderen Extrem steht der Arbeiter am Fließband. Lynda King Taylor berichtet, wie Arbeitnehmer einen Job aufgaben und beim Kündigungsgespräch sagten: »Ich hatte wirklich keine Arbeit«

Dazwischen gibt es Berufe, die einen gewissen Grad von Leistung in sich schließen: ein Busfahrer muß eine Reihe von Entscheidungen treffen und kann mit mehr oder weniger Geschick fahren, selbst wenn er nicht voll ausgelastet ist. Damit zusammen hängt auch die Frage: bietet die Arbeit Abwechslung? Offensichtlich ist das bei Wiederholungsarbeiten nicht der Fall.

*  Lord Reith, der Mann, der BBC aufbaute, beklagte sich allerdings, daß er in seinem Leben nie voll ausgelastet gewesen sei.


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Ein weiteres Bedürfnis, das die Arbeit befriedigen kann, ist das nach Prestige. Ein Mann fühlt gern, daß die Gemeinschaft seinen Beitrag schätzt und daß seine Geschicklichkeit anerkannt wird. Hier wird wiederum das Geschick des Akademikers allgemein anerkannt und belohnt, während man bei dem Arbeiter am Fließband nicht nach dem Geschick fragt. In den Zwischenpositionen mag der Akzent eher auf einem hohen Ausstoß als auf einem hohen Maßstab der Arbeit liegen. Junge Männer, die in einen Industriebetrieb eintreten, finden das oft entmutigend. So sagte mir ein junger Klempner: »Sie wollen keine anständige Arbeit, sie wollen nur die Menge. Das ist langweilig.«

Die Selbstachtung eines Mannes leitet sich aus seinem Geschick ab, die Selbstachtung fordert aber auch, daß die Arbeit, die man verrichtet, die Mühe lohnt. Ein Mann, der Nahrungsmittel erzeugt, ein Mann, der die Kranken kuriert, ja selbst ein Unterhalter oder ein Gelehrter — und sicherlich ein guter Koch — können legitimerweise das Gefühl haben, daß er oder sie einen echten Beitrag für die Gesellschaft leistet. Das ist für den Mann viel schwieriger, der, sagen wir, eine wertlose Patentmedizin mixt oder aus dem Bauchladen Bürsten verkauft. Obwohl wir alle dazu neigen, unsere Aktionen vor uns selbst zu rechtfertigen, so daß sogar die Verkäufer trivialer Dinge oder nebensächlicher Dienstleistungen behaupten mögen, sie machten die Menschen etwas glücklicher, entsteht doch kaum das Bewußtsein des persönlichen Werts, das der Mann erlebt, ohne dessen Arbeit die Gesellschaft nicht weitermachen könnte.

Des weiteren wollen die Menschen ein vollständiges Endprodukt sehen. Es ist eine Sache, sagen zu können, »Ich habe diesen Stuhl gemacht«, und eine ganz andere, wenn man sagen muß, »Ich habe die Nägel in hundert Stühle, die andere zugeschnitten und poliert haben, eingeschlagen«. So führen Arbeitsteilung und die Kompliziertheit der technischen Arbeitsgänge dazu, die persönliche Beteiligung an dem Produkt zu untergraben. (Das gilt allerdings nicht für ein gut abgegrenztes Team, das sehr wohl Freude an einer gemeinsamen Leistung empfinden kann.)


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Um die Liste nicht endlos zu verlängern, sollte die Arbeit schließlich zum Lebenszweck eines Menschen beitragen. Für die meisten Menschen tut sie das heute nur insoweit, als sie bezahlt wird und man das Geld zum Leben braucht. Als Schriftsteller befasse ich mich aber nicht nur mit dem Geld, das meine Bücher einbringen: ich werde auch durch das Gefühl belohnt, daß ich Diskussionen veranlasse und Ideen vortrage, die die Menschen beeinflussen können. Indem ich die Ideen ausarbeite, ehe ich sie niederschreibe, entwickle ich auch meinen Geist und bringe mich in eine bessere Beziehung zu den Schwierigkeiten in der Welt, in der ich lebe. (Auch freue ich mich darüber, ein identifizierbares Endprodukt zu schaffen, einen spezifischen Status, mag er nun hoch oder niedrig sein, zu erwerben und als Individuum und nicht als Automat angesehen zu werden.) Im Gegensatz dazu kann ein Mensch, der eine unbedeutende Arbeit verrichtet, einfach nicht im gleichen Ausmaß mit dem Herzen bei der Sache sein. Einen Raum für die eigene Verwendung zu dekorieren, bringt eine tiefere Befriedigung, als es für einen Fremden zu tun. Wenn man fertig ist, ist man einem Herzenswunsch etwas näher gekommen.

Ein weiterer kurzer Punkt: Wir arbeiten alle gern in unserem eigenen Tempo, manchmal werden wir schneller und manchmal wieder langsamer. Manchmal machen wir eine Atempause oder halten inne, um die Beschäftigung zu wechseln. Der Industriearbeiter kann das im allgemeinen nicht; er muß dem Tempo der Maschinen folgen und eine Pause zu der vorher vereinbarten Zeit machen. Selbst wenn das Tempo der Maschine oder des Förderbandes einer Durchschnittsleistung entsprechend eingestellt ist, wird es ihm manchmal zu langsam erscheinen, während er sich ein anderes Mal unter Druck gesetzt fühlt. Da ich während des Krieges unter dieser Art Druck gearbeitet habe, weiß ich, wie quälend das sein kann.

Das bislang Gesagte mag als Beweis reichen, daß viele Arbeiten äußerst frustrierend sind und daß diese Frustrationen, wenn die Industrie noch automatisierter und stromlinienförmigen wird, weiter wachsen werden. 


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Es ist richtig, daß die Technologie auch neue Herausforderungen anbietet: der Flugzeugführer, der Programmierer für Computer, selbst der Fernsehtechniker können als Beispiele angeführt werden — im großen und ganzen scheint sich die Situation aber zu verschlechtern. Ganz anders sieht es in einer primitiven Gesellschaft aus. Wenn die Samoaner ein Boot bauen, beteiligt sich die ganze Gemeinschaft, es wird musiziert und geklatscht. Das Geschick der Männer, mit dem Breitbeil umzugehen, wird allgemein anerkannt. Da Fische die Hauptquelle für Proteine sind, dient das Boot den Lebenszwecken der Gemeinschaft. Das Tempo der Arbeit variiert, sie wird durch Pausen unterbrochen. Das Endprodukt ist identifizierbar. Die Bindung an die Arbeit wird durch eine religiöse oder magische Zeremonie bei der Segnung des Boots noch unterstrichen.

Die herabwürdigende und frustrierende Natur vieler Industriearbeiten wurde von zahlreichen Kommentatoren des neunzehnten Jahrhunderts, besonders von Karl Marx, kritisiert, obwohl ihre Analysen der Ursachen zumeist viel einseitiger waren als mein Versuch hier.* Marx glaubte seltsamerweise, daß all diese Übel kuriert werden könnten, wenn die Arbeiter die Besitzer der Produktionsmittel würden und so nicht länger Befehle von den Besitzern hinnehmen müßten, an die sie durch eine Kette der Sklaverei gefesselt waren. Nun mag es durchaus Argumente für den Gemeinbesitz an Produktionsmitteln geben, auf die ich gleich eingehen werde, doch zumindest ist es klar, daß die Fließbänder im Staatsbesitz fast all jene Nachteile aufzeigen, die wir eben betrachtet haben.

Es ist oft behauptet worden, daß die hohen Löhne der Fließbandarbeiter durch die Effizienz der Arbeits­vorgänge ermöglicht werden, so daß die Arbeiter durch das Geld für die Langeweile und die Frustrierung entschädigt werden. Der Personalabteilungsleiter einer der größten britischen Autofabriken sagte mir einmal: »Nach einer Weile bekommen die Männer die langweilige Arbeit satt und gehen. Nach wenigen Wochen sind sie aber wieder da, weil sie die gleichen Löhne anderswo nicht bekommen können. Sie haben sich einem Lebensstandard verpflichtet, haben Ratenkäufe abgeschlossen und so weiter und kommen ohne das Geld jetzt einfach nicht zurecht.«

* Das Thema wurde ausführlicher in meinem Buch, <Are Workers Human?>, H. Miffling, 1954, behandelt.


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Er schien das gut zu finden. Als ich andeutete, daß eine Situation, in der Menschen in einer frustrierenden Lage festgehalten würden, wahrscheinlich zu einer hohen Quote von Streiks und Arbeitsniederlegungen führen würde, für die die Automobilindustrie bekannt ist, verwarf er den Glauben und sagte, die Streiks seien einfach den »verdammten Gewerkschaftlern zuzuschreiben«.

Ein Streik bietet natürlich fast all die Befriedigungen, die einer Wiederholungsarbeit fehlen. Er stellt eine Herausforderung dar, er liefert ein definitives Endprodukt. Er schafft Abwechslung. Er gibt Gelegenheiten für soziale Kontakte und so weiter. In meinem Buch Are Woikeis Humanl regte ich nicht spaßeshalber an, daß jede gut geleitete Firma einmal im Jahr einen Streik zum Nutzen ihrer Arbeiter arrangieren solle. Die Leute würden nachher um so besser arbeiten, die Abwesenheitsquote würde sinken, so daß die gesteigerte Produktion den durch den Streik bedingten Verlust wahrscheinlich ausgleichen würde.

In letzter Zeit wurde der Gedanke, daß die Frustration durch die Arbeit mit dem Auftreten von Streiks und dem Fernbleiben vom Arbeitsplatz zusammenhängen könnte, von einigen weitsichtigen Managementberatern vorgetragen. Man spricht davon, die Arbeit zu modifizieren, um sie interessanter zu gestalten. Im Fachjargon nennt man das <Arbeitsbereicherung>. Zusätzlich wurde aufgezeigt, daß Routinejobs zu einem Verlust der Leistungsfähigkeit, einer Abstumpfung der intellektuellen Kräfte und zu Symptomen der Entpersönlichung sowie zu einem Rückzug aus der Gesellschaft führen können. Sie führen auch zu einer starken Produktion von Ausschuß und einem wachsenden Fernbleiben von der Arbeit, was sich sehr ungünstig auf die Produktion auswirkt.

Wenn eine mühsame Aufgabe interessanter gestaltet wird, kann die Steigerung der Leistungsfähigkeit geradezu dramatisch sein. S. Wyatt und J. A. Fräser von dem amerikanischen Ausschuß über Ermüdungserscheinungen in der Industrie des Medizinischen Forschungsrats haben das an Experimenten mit je zwei Frauen bewiesen, die in der Tabakindustrie beschäftigt sind. Eine Frau mußte den Tabak wiegen und von einer Twistrolle 30 Gramm schwere Stücke schneiden; die andere mußte sie einpacken.


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Als die Aufgabe nach der halben Schicht gewechselt wurde, stieg die tägliche Arbeitsleistung bei zehn Arbeiterinnen im Durchschnitt um 11,2 Prozent gegenüber den anderen, die keinen Austausch vornahmen. Als man zweimal wechselte, stieg die Leistung auf 13,8 Prozent, und jedermann war glücklich. Das ganze kostete keinen Penny.

Man könnte sich vorstellen, daß die gute Nachricht sich schnell in der gesamten Industrie verbreitete und daß sich die Manager eifrig damit beschäftigten, die Abwechslung bei der Arbeit zu steigern. Als ich die Sache gegenüber dem Vorsitzenden der größten britischen Reifenfabrik erwähnte, spottete er und sagte, die Angestellten seien lediglich am Geld interessiert. Tatsächlich haben Studien über die Haltung von Arbeitern in den USA ergeben, daß Geld keineswegs das einzige und nicht einmal das wichtigste ist, was der Arbeiter will. In der sorgfältigen Studie, die Hall und Locke in der Rowntree-Schokoladen­fabrik vornahmen, zeigte sich, daß der Lohn nur einer von einem halben Dutzend Faktoren war, die zur Zufriedenheit beitrugen, und als S. Chant 250 Verkäufer fragte, was eine Arbeit die Mühe wert mache, plazierten sie <guten Lohn> hinter der Sicherheit, der Möglichkeit einer Beförderung, der Freiheit, Ideen zu brauchen, und der Freiheit zu lernen.

Tatsächlich ist die Arbeitsbereicherung keine neue Idee. Vor einem Vierteljahrhundert war man bei Cadillac während des Zweiten Weltkriegs mit der Notwendigkeit konfrontiert, ungelernte Arbeitskräfte zur Herstellung von Flugzeugmotoren einzusetzen. Völlig ungelernte Negerinnen stellten eine Präzisions­komponente aus Aluminium für diese Motoren her, dabei fertigten sie alle ein Endprodukt an. Jedes Mädchen arbeitete nach einer Skizze, die ihr sagte, was sie als nächstes tun müsse und warum. (Bei späteren Experimenten in dieser Richtung wurden Tonbänder verwendet, um die Arbeiter durch die Reihe von Arbeitsvorgängen zu führen.) Peter Drucker schreibt in seinem Bericht über das Cadillac-Experiment:


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»Die Arbeiterinnen führten lediglich Bewegungen aus, die leicht zu erlernen waren; tatsächlich dauerte die Ausbildung dieser Frauen nicht länger, als eine an dem orthodoxen Fließband gedauert hätte. Jedes Mädchen verrichtete aber einen kompletten Arbeitsgang, bei dem ein Muskel nach dem anderen beansprucht wurde, der ganze Körper bekam so eine Chance auszuruhen und einen Arbeitsrhythmus zu entwickeln. Zudem konnte jedes Mädchen in ihrem eigenen Tempo arbeiten und dieses Tempo variieren — eines der besten Mittel zur Bekämpfung der Müdigkeit. Zudem stellte jedes Mädchen ein ganzes Produkt her, mit all der Befriedigung, die das einbrachte. Als Ergebnis gab es nicht nur zufriedene und glückliche Arbeitskräfte, sie waren auch sehr leistungsfähig und produzierten mehr, als das an einem orthodoxen Fließband möglich gewesen wäre.«  

Der Unterschied zwischen der Position von Akademikern und Handarbeitern wurde durch einen Vergleich von sechs akademischen Berufen mit solchen von gelernten und ungelernten Arbeitern herausgestellt. Bei den akademischen Berufen sagten von 82 Prozent bei den Journalisten bis zu 91 Prozent bei Mathematikern, sie würden die gleiche Arbeit wieder wählen. Aber nur 16 Prozent der ungelernten Arbeiter erklärten, sie würden das tun, und nur 40 bis 50 Prozent der gelernten Arbeiter. Blauner, der Autor der Studie, merkt an, daß diese Zahlen die Situation noch untertreiben, da die Herabsetzung der eigenen Arbeit eine Kritik an sich selbst ist.

Abgesehen von den Auswirkungen für die Industrie hat die fortgesetzte Frustration von Grundbedürfnissen auch langfristige Auswirkungen auf die Persönlichkeit. »Als Handwerker war er für das, was er tat, verantwortlich, er mußte Voraussicht, Urteilsfähigkeit und Sorgfalt hinsichtlich der Wahl der Mittel üben. In dem Fabriksystem wurden diese Fähigkeiten nie wieder gefordert. Als Persönlichkeit wurde er ignoriert, er wurde für die Arbeitsstunden und nicht für die Leistung bezahlt«, schreibt der Psychiater Lewis Way und fügt hinzu: 

»Der Mensch wurde aus einer gesellschaftlichen und familiären Umgebung genommen und mit einer Herde von Arbeitnehmern zusammengetrieben, die aus verschiedenen Quellen rekrutiert werden. Er verlor das Milieu einer stabilen und integrierten Umgebung, die für eine vollständige soziale Anpassung nötig ist.«


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Die Bemühungen der Soziologen und Managementexperten, die Arbeit zu humanisieren, wurden als Versuch kritisiert, die Arbeiter in Gelassenheit einzulullen. Für die, die die einzige Antwort in der Revolution sehen, ist es natürlich desto besser, je verbitterter die Arbeiter werden. Nach der Revolution werden die Probleme aber bleiben: Man wird immer noch Fabriken brauchen, und die Arbeitsmethoden werden sich nicht stark von denen in Fabriken im Privatbesitz unterscheiden.

Die Rekonstruktion der Arbeit, die die menschlichen Bedürfnisse befriedigt, ist wesentlich; da wir den größten Teil unserer wachen Zeit in der Arbeitssituation zubringen, ist das Ziel verloren, wenn die Arbeit frustriert. Selbst wenn eine humanisierte Arbeit einen Produktionsverlust ergäbe, wäre sie das wert. Und doch haben wir uns bislang kaum damit beschäftigt, wie man Wege zur Rehumanisierung der Arbeit finden kann.

Diese Idee reicht tief in unsere gesamte Philosophie. Der Wirtschaftswissenschaftler Dr. F. Schumacher sagte: »Wenn es das Ideal im Hinblick auf die Arbeit ist, sie zu beseitigen, ist jede Methode, die Arbeitslast zu reduzieren, eine gute Sache. Das Ideal des Arbeitgebers ist von hier aus gesehen, eine Produktion ohne Arbeitnehmer zu erhalten, und das Ideal des Arbeitnehmers, eine Bezahlung ohne Arbeit.« Hieraus ergibt sich das Problem der Freizeit, in der wir dem Leben all die Freude wiedergeben wollen, die in der Arbeit fehlt, und gelangweilt sind, wenn wir nicht wissen wie. Sollte aber das Leben in langweilige Arbeit und nicht langweilige Muße gespalten werden?

Ich habe von der Arbeit lediglich in bezug auf die persönlichen Bedürfnisse geschrieben: das bedeutet nicht, daß sie in bezug auf den Menschen keine anderen Funktionen hat. Die Buddhisten sprechen von drei Funktionen der Arbeit: 

  1. sie hilft dem Menschen, seine Fähigkeiten zu entwickeln

  2. sie hilft die Egozentrik zu überwinden, indem sie ihn dazu bringt, mit anderen zusammenzuarbeiten

  3. sie bringt die Waren und die Dienstleistungen, die für eine angemessene Existenz nötig sind.

Die Gesellschaft des Westens hat sich auf die dritte dieser Funktionen unter Vernachlässigung der beiden anderen konzentriert. Die weisen Worte des Buddhismus sollten über dem Schreibtisch eines jeden Fabrikdirektors und Management-Beraters angebracht werden.


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   5  Andere Bedürfnisse    ^^^^

 

Es wird oft behauptet, daß eines der am klarsten umrissenen Bedürfnisse des Menschen das nach Sicherheit ist; gewöhnlich denkt man dabei an wirt­schaft­liche Sicherheit, da heute die physische Sicherheit weitgehend geschützt ist; aber die emotionelle Sicherheit ist ebenfalls wichtig, doch wird sie häufig nicht beachtet.

Allerdings ist die Situation in Wirklichkeit nicht ganz so einfach. Allzu viel Sicherheit kann übersättigen. Niemand will wie ein kleines Kind behandelt werden. Ein Mann ist in einem Krankenhausbett ziemlich sicher, wenn er aber nicht mehr krank ist, wird er sich sehr bald langweilen. Tatsache ist, daß die meisten Menschen nicht so sehr wünschen, daß ihnen Sicherheit geboten wird, als daß sie sich ihre eigene Sicherheit selbst schaffen können. Der Mensch hat das Bedürfnis, sein eigenes Leben zu gestalten und seine eigenen Entscheidungen zu treffen, was wir das Bedürfnis nach Selbstbestimmung nennen. Deshalb können wir, genauso wie zuviel Nahrung und zuviel Liebe, auch zuviel Sicherheit haben.

Allerdings mögen Menschen nicht in einer Situation leben, über die sie keine Kontrolle haben. Wir hören viel über wirtschaftliche Sicherheit, weil die gewaltigen und unpersönlichen Kräfte in der modernen Gesellschaft den Menschen Probleme präsentieren, die weit über ihre Kontrolle hinausgehen. Der Mann, der seine Stellung wegen einer allgemeinen industriellen Flaute verliert und in der Folge keine andere bekommt, weiß nicht, was er tun soll. Keine konstruktive Aktion steht ihm offen. Und weil die Menschen wissen, daß das so ist, fühlen sie sich verunsichert, selbst wenn sie eine Stellung haben. Mehr noch, die Richtung, die die Gesellschaft einschlägt, ist für viele nicht attraktiv, sie haben aber das Gefühl, daß man dagegen nichts tun könne, <man fühlt sich so hilflos>. 

Bertrand de Jouvenel, berühmt als Dozent der Wirtschaftswissenschaften und diplomatischer Korrespondent, Mitglied der Französischen Kommission für nationale Einnahmen und Ausgaben und Präsident von Futuribles, einer Organisation zum Studium der Zukunftsmöglichkeiten, hat bemerkt, daß »das Leben in der westlichen Gesellschaft ein neuer Fatalismus ist, ein Gefühl, daß unsere Zukunft für uns durch den autonomen Kurs einer übermenschlichen Behörde bestimmt wird, deren gottähnliche Natur durch die verehrungsvolle Verwendung des Kapitals bestätigt wird: durch die Technologie«. 


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Im Gegensatz dazu ist in den meisten primitiven Gesellschaften, wenn sie auch angesichts eines Sturms oder einer Trockenheit physisch unsicher sein mögen, gewöhnlich eine Aktion zur Abwendung der Gefahr denkbar. Und wenn eine natürliche Katastrophe nicht eintrifft, ist ihre wirtschaftliche Sicherheit gewöhnlich fest gegründet.

Wie Psychologen aufgezeigt haben, fühlen wir vor allem dann Angst, wenn wir nichts unternehmen können. Wenn wir kämpfen können, um eine Gefahr zu überwinden, sind wir zu sehr beschäftigt, um uns viele Sorgen zu machen.

Diese wichtige Wahrheit wird nur wenig von denen verstanden, die an der Macht sind, von denen, die glauben, sie könnten das Problem lösen, indem sie <Sozial-Sicherheitssysteme> paternalistischer oder karitativer Art zur Verfügung stellen, statt Bedingungen zu schaffen, in denen Selbsthilfe und Unabhängigkeit möglich sind. Alle menschlichen Bedürfnisse haben einen dynamischen Charakter. Wir erhalten unseren Körper, indem wir Material zu uns nehmen und Abfallprodukte ausscheiden; wir werden nicht in einem Stadium des Gleichgewichts erhalten, sondern halten uns selbst darin, wie ein Seiltänzer sein Gleichgewicht durch ständige Anpassung bewahrt. Unsere psychischen Bedürfnisse sind genauso dynamisch.

Kurz gesagt, wir haben es nicht einfach nötig, daß man uns Sicherheit gibt, wir haben es nötig, sie uns selbst zu schaffen. Wir haben es nicht nötig, daß die Probleme des Lebens für uns gemeistert werden, wir müssen sie selbst meistern. Wir brauchen nicht lediglich geliebt zu werden, wir müssen lieben.

Man kann auch sagen, daß der Mensch Abwechslung braucht und Monotonie nicht leiden kann. Genau genommen ist das kein eindeutiges Bedürfnis, sondern eher eine Einschränkung der Bedürfnisse, die wir in Begriffen der Zeitskala besprochen haben. Wir brauchen Nahrung, wir wollen aber nicht jeden Tag das gleiche Gericht essen. Wir brauchen Herausforderungen, wollen uns aber nicht wiederholt der gleichen stellen.


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Auch hier wieder ist die Abwechslung kein absolutes Erfordernis. Was wir tatsächlich suchen, ist ein glückliches Mittel zwischen Monotonie und Überstimulation. Beide töten ab, wie das Menschen, die in einem Urlaub mit zu vielen Eindrücken und Orten konfrontiert werden, oft entdecken. Man kann sich vorstellen, daß die Monotonie in den meisten Perioden der Vergangenheit die Gefahr war. Für unser modernes Zeitalter ist ein Übermaß von zugeführter Spannung charakteristisch. Die dauernde Präsentation neuer Bilder, Tatsachen und Ideen durch die Medien und besonders durch das Fernsehen stumpft die Fähigkeit ab, Details zu beobachten, und verhindert die Reflexion und die Überlegung, die nötig sind, um neues Material im Gehirn zu speichern.

Der Wunsch nach Stimulans variiert bei den Individuen sehr stark. 

Wie Professor Eysenck bewiesen hat, fordern extravertierte Menschen viel mehr Stimulantia als introvertierte. Sie essen, trinken und rauchen mehr und haben häufiger Geschlechtsverkehr. Sie genießen Partys und gesellschaftlichen Verkehr und gehen mehr Risiken ein — wegen der <Aufregung>, die das bringt. Sie machen auch mehr expansive Gesten. Der Unterschied ist so groß, daß eine Erregungsebene, die einen Extravertierten langweilt, für den Introvertierten bereits schmerzlich und erschöpfend sein kann. 

(Persönlich bin ich als Mensch, der laute Geräusche schmerzlich empfindet, oft darüber erstaunt, mit welcher Ruhe, ja Billigung Extravertierte sie ertragen. Auf gleiche Weise reizen mich alle Arten von Hintergrundmusik, sie sind aber vielen anderen willkommen. Ich bin offensichtlich introvertiert.)

Wenn ein Mensch nicht die Mengen an Stimulantia erhält, die er nötig hat, wird er zuerst gelangweilt sein und schließlich einen <Stimulans-Hunger> entwickeln, den er zu befriedigen versucht. Das kann zu einem <Erregungsrausch> führen, ähnlich wie bei einem opulenten Mahl nach einer Periode <schmaler Kost>. Man hat darauf hingewiesen, daß der Stimulans-Hunger ein Element bei der Ursache von Straffälligkeit ist. Das Risiko, durch die Polizei verhaftet zu werden, ist ein <Thrill> und verleiht das Gefühl, <wirklich zu leben>. Eysenck sagt: »Viele Aktivitäten des jugendlichen Straftäters scheinen aus der Langeweile herzurühren, aus einem Verlangen nach Stimulation und aus der offensichtlichen Bereitschaft, mehr zu riskieren.« Ein Auto — oder besser noch ein Motorrad — schnell und tollkühn zu fahren, bereitet ebenfalls einen <Thrill>.


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Die Schlußfolgerung ist, daß unsere Gesellschaft Extravertierten, besonders jungen Extravertierten, zu wenig Aufregung bietet. Man hat über die Frage, wie man sie wieder einführen könnte, bisher noch wenig nachgedacht.

Drogen einschließlich des Alkohols beeinflussen zeitweilig die Erregungsebene. Dem Introvertierten hilft der Alkohol, der ihn gesellig macht, wo der Extravertierte ganz einfach zu laut wird. Ich vermute, daß die Verwendung von Marihuana und anderen Drogen mit diesem Bedürfnis zusammenhängt, die Erfahrungsschwelle zu verlagern. (Tatsächlich scheint der Prozeß eine Übertragung der Aufmerksamkeit von äußere auf innere Stimuli einzuschließen. In dem Introvertierten wie in dem durch Marihuana deprimierten Extravertierten geht innerlich genug vor, als daß er sich um das, was außerhalb vorgeht, zu kümmern braucht.)

Obwohl einige Menschen ein Maß an Abwechslung ersehnen, fordern sie doch zugleich von der Umgebung einen hohen Grad an Beständigkeit, und es ist wichtig, daß diese beiden Faktoren klar unterschieden werden. Wir lernen, daß gewisse Aktionen lohnend sind: wenn sie das mit einem Mal nicht mehr sind oder wenn sie, schlimmer noch, zwischen Effektivität und Ineffektivität hin- und herschwanken, sind wir verwirrt und fühlen uns völlig verloren. Jedermann, der einmal versucht hat, mit einer geistig gestörten Person Kontakt aufzunehmen, wird sich an das Gefühl des Befremdens und sogar der Furcht erinnern, das einen überkommt, wenn man erkennt, daß die gewohnten Annäherungsmethoden eine unerwartete Reaktion hervorrufen. 

Unsere technologische Gesellschaft, die zwar für mehr Abwechslung sorgt, hat, was die Beständigkeit angeht, eine ziemlich wechselvolle Geschichte. In mancher Hinsicht können wir uns auf unsere Umgebung mehr, in anderer Hinsicht weniger verlassen. Die Frau, die auf einem Holz- oder Kohlefeuer kocht, wußte, daß ihre Töpfe immer heiß wurden; einer Frau, die auf einem elektrischen Herd kocht, können die Pläne durch ein Versagen der Stromversorgung umgeworfen werden. 


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Bei einem Auto geht viel öfter etwas schief als bei einem Pferd. Aber es ist nicht die technologische Ebene, wo der Schuh wirklich drückt; es ist das Schema des Lebens selbst. Ein Mann, der vor einem Jahrhundert ein Haus auf dem Land kaufte, nahm es für sicher hin, daß es auch bei seinem Tod noch ein Landhaus sein würde. Heute kann er sich wenige Jahre nach dem Einzug inmitten eines Bebauungsplans oder nahe an einer Autostraße befinden. Die Tätigkeit der Regierung, die Inflation und andere Kräfte können Entscheidungen unsinnig machen, auf die Menschen ihr ganzes Leben gegründet haben. Dagegen scheint die größere Zuverlässigkeit in kleineren Dingen nur ein ungenügender Ausgleich.

Der einzige Berufspsychologe, der versucht hat, die menschlichen Bedürfnisse auf die Art zu kategorisieren, wie ich es hier und in meinem früheren Buch <Conditions of Happiness> unternommen habe, ist Professor Abraham H. Maslow von der Brandeis-Universität, dessen <Motivation and Personality> 1954 erschien. Die Gruppierungen, zu denen er gelangt, sind im wesentlichen die gleichen wie die meinen. Er verweist jedoch auf die sehr interessante Tatsache, daß unser Gehirn weit unter der Bewußtseinsschwelle eine ziemlich gute Vorstellung von den Prioritäten besitzt und seine Programme dementsprechend wechselt. Um das tun zu können, braucht es jedoch gewisse Signale und kann ziemlich leicht in die Irre geführt werden. So reagiert es beispielsweise nicht auf Radioaktivität, die es nicht entdecken kann, oder auf geruchlose Gase wie Kohlenmonoxyd.

Maslow geht allerdings weiter als ich, wenn er behauptet, daß es ein Bedürfnis nach Selbstaktualisierung gibt. »Die Tendenz könnte als das Verlangen bezeichnet werden, mehr und mehr das zu werden, was man idiosynkratisch nennt«, schreibt er, »alles zu werden, das man werden könnte«.

Sicher ist es wünschenswert, daß ein Mensch sich über seine Möglichkeiten klar wird, und wenn er erkennt, daß er fähig ist, mehr zu tun, als er tut, wird er sich frustriert fühlen. Soll man jedoch einen Mann, der lange vor der Erfindung des Flugzeugs geboren wurde und der gerade die Fähigkeiten besaß, die ihn zu einem guten Piloten gemacht hätten, als frustriert bezeichnen? 


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In diesem Fall müßten sehr viele Menschen frustriert sein, weil die Menschheit die Funktionen noch nicht entwickelt hat, für die sie ausgerüstet sind. Maslow betont, daß wir die Gelegenheit brauchen, unsere Denkfähigkeiten genauso zu benützen wie unsere emotionellen Fähigkeiten. Arbeitsplätze, die keine Herausforderung bieten, verursachen daher einen Verlust an Eifer und (so sagt er) eine Depression körperlicher Funktionen.

Maslow, der zugegebenermaßen die Zahlen aus dem Blauen holt, erklärt, daß die meisten Menschen zu 85 Prozent in ihren physiologischen Bedürfnissen, zu 70 Prozent in ihren Sicherheitsbedürfnissen, zu 50 Prozent in ihren Liebesbedürfnissen, zu 40 Prozent in ihren Achtungsbedürfnissen, aber nur zu 10 Prozent in ihren Selbstaktualisierungsbedürfnissen befriedigt sind. In beträchtlichem Detail weist er nach, wie der Mensch, der Selbstaktualisierung erreicht hat, sich von jenem unterscheidet, dem das nicht gelang. »Einen Menschen, der in seinen Grundbedürfnissen verkümmert wurde, kann man sich ziemlich gut als einen kranken Menschen oder zumindest als einen weniger als vollen Menschen vorstellen«, erklärt er. »Die gute oder gesunde Gesellschaft würde dann als die definiert werden, die es erlaubt, daß der Mensch seine höchsten Zielsetzungen entwickelt, indem sie alle seine Grundbedürfnisse befriedigt.«

Mit dieser Schlußfolgerung stimme ich vollkommen überein, obwohl ich vermute, daß die vollständige Befriedigung aller Bedürfnisse für jedermann ein Ideal ist, das unerreichbar bleibt; ich würde lieber sagen, daß eine gute Gesellschaft die ist, in der man das unter den gegebenen Umständen mögliche Maximum an Befriedigung erlangt.

  

   6  Eine bedürfnisorientierte Gesellschaft      ^^^^

 

Wenn wir zusammenfassen, gibt es praktisch drei Gruppen von Bedürfnissen: physische, emotionelle und funktionelle. Es mag auch noch andere geben. So bin ich mir nicht sicher, ob es ein spezifisch ästhetisches Bedürfnis gibt oder ob es einfach für eine besondere Kombination von kognitiven und emotionellen Reaktionen steht.

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Ist es nicht durchaus möglich, daß es lohnende Erfahrungsmodi gibt, die wir nie vermissen werden, solange wir nichts davon wissen? So mag ein Mensch, der eine glückselige Vision hatte, danach hungern, sie wieder zu erleben. Sind aber diejenigen, die nie von einem mystischen Erlebnis gehört haben, etwa frustriert, weil diese Erfahrung in ihrem Leben fehlt? Dieses Thema muß unbedingt näher untersucht werden. Unsere Gesellschaft hat noch einen weiten Weg vor sich, ehe sie in einem vernünftigen Ausmaß befriedigt. Offensichtlich ist die vollständige Befriedigung aller Bedürfnisse zu jeder Zeit ein unerreichbares Ideal, wir könnten aber zweifellos viel mehr erreichen als in der Gegenwart. Selbst wenn wir nicht in einem Palast leben können, müssen wir nicht in einem Slum wohnen.

Das Bewußtsein der tief unbefriedigenden Art der meisten Jobs treibt viele junge Menschen (und auch einige ältere) dazu, dem Konkurrenzkampf den Rücken zu kehren und eine schlichtere Existenz zu suchen, in der die Anforderungen auf ein Minimum beschränkt bleiben. Sie haben entdeckt, daß man mit sehr wenig Geld auch ganz glücklich leben kann. Paul Goodman argumentierte, daß die Frustration mehr oder weniger straffälliger Jugendlicher, mit denen er sich zu beschäftigen versucht, zum großen Teil der Tatsache zuzuschreiben ist, daß ihnen die Gesellschaft keine Hoffnung auf eine Herausforderung oder eine Rolle bietet, die die Mühe lohnt. Wie er in Growing Up Absurd schreibt, genügt es nicht, eine Stellung zu behaupten und als Konsument mit dem Leben in Beziehung zu stehen.

Obwohl es nicht meine Absicht ist, das Thema erschöpfend zu behandeln, möchte ich doch einem Mißverständnis vorbeugen. Es ist ein menschlicher Zug, die Mittel zum Ziel in Ziele an sidi umzuwandeln. So mag der Sozialismus die Verstaatlichung der Industrie als Mittel zu einer gerechteren und wirksameren Gesellschaft vorschlagen. Doch geht er rasch dazu über, die Verstaatlichung selbst als Ziel zu betrachten, selbst wenn sie sich (in einigen besonderen Fällen) als ungeeignet erwiesen hat. Auf die gleiche Art können Menschen etwas als wesentlich für ihre Selbstachtung ansehen und wirklichen Schmerz erleiden, wenn es unerreichbar bleibt. 


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Kleidung mag in einem zentralbeheizten Raum nicht nötig sein, aber man mag sich peinlich verlegen fühlen, wenn man nackt oder auch nur unvollkommen bekleidet ist. Die Gesellschaft muß so für viele Pseudo­bedürfnisse sorgen. Wiederum kann eine Art von Befriedigung als Ersatz für eine andere hingenommen werden, und wenn dieser verloren geht, wird der Betreffende um den Ersatz kämpfen. Ähnlich mag jemand mehr um die Wahrung der Prestigesymbole als um das Prestige selbst kämpfen.

Im extremen Fall haben wir die Besessenheit. Von der schuldbeladenen Person, die sich dauernd die Hände wäscht, könnte man sagen, daß Händewaschen ihr <Bedürfnis> ist. Von einer Person, deren sexuelle Wünsche mit einem Fetisch assoziiert werden, kann man genauso sagen, sie <bedarf> des Fetisch-Objektes. Ich lenke die Aufmerksamkeit darauf, um zu zeigen, daß es nicht einfach um die Befriedigung von Wünschen geht. In den gerade zitierten Extremfällen muß die Gesellschaftspolitik darauf ausgerichtet werden, die Schuld und die Fixierung des sexuellen Instinkts zu reduzieren und nicht nur mehr Waschbecken und Schuhe mit hohen Absätzen zu produzieren. Und doch arbeitet das System gegenwärtig so — es befriedigt Nachfragen auf dem Markt, ob sie nun vernünftig sind oder nicht.

Ebenso wird gewöhnlich nur allzu oft ignoriert, welche Wünsche weise sind. Gerade wie ein Kind sich Süßigkeiten wünscht, wenn es Vitamine braucht, sehen die Menschen oft nicht, wo ihre wirklichen Interessen liegen. So offensichtlich dieser Punkt scheinen mag, machen die Menschen dauernd diesen Fehler. Sie fahren auf einen Berggipfel, <weil es weniger Mühe kostet>, obwohl ein Erklettern zu Fuß mehr echte Befriedigung gebracht hätte. Sie verlangen eine Zentralheizung, während vielleicht die Stimulierung der eigenen Körperfunktion durch Übung besser gewesen wäre. Sie sehen sich ein Fußballspiel im Fernsehen an, während sie sich vielleicht selbst körperlich betätigen sollten. Es ist dringend nötig, die Menschen zum Treffen der richtigen Wahl zu erziehen. Wir haben bereits gelernt, daß wir das bei körperlichen Bedürfnissen wie der Diät tun müssen; wir haben noch zu lernen, daß wir auch die Menschen zur Erfüllung ihrer psychologischen Bedürfnisse erziehen müssen.


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Die nächsten Jahre werden meiner Ansicht nach eine wachsende Erkenntnis der grundsätzlichen Bedeutung unserer psychologischen Bedürfnisse sowie der Tatsache bringen, daß sie direkt und nicht durch Ersatz oder Ablenkung befriedigt werden müssen. Insbesondere kann die gegenwärtige Situation, in der wir von einem Mann erwarten, daß er sich beim Kauf eines Hi-Fi-Geräts oder beim Fahren eines Autos scharfsinnig und urteilsfähig verhält, dagegen unkritisch, ja schwachsinnig, wenn er durch das Fabriktor tritt, nicht viel länger bestehen.

In unserer Gesellschaft werden psychologische Bedürfnisse durch die Versorgung mit Waren befriedigt. In der primitiven Welt sind Waren dazu bestimmt, physische Bedürfnisse zu befriedigen; sie umfassen Nahrung, Kleidung, Häuser, Waffen. Wir haben eine neue Art von Waren entwickelt, die dazu bestimmt sind, nichtmaterielle Bedürfnisse zu decken. (Manchmal versuchen wir, beide Ziele zugleich zu erfüllen, wie etwa, wenn wir aus Statusgründen einen größeren Wagen oder ein größeres Haus kaufen, als wir brauchen.) 

In einer natürlichen Gesellschaft übt sich der Mensch durch Schwimmen, Tanzen oder im Verlauf seiner Arbeit. Heute braucht er ein Auto, einen Sack mit Golfschlägern oder ein Segelboot. In einer natürlichen Gesellschaft gewinnt er den Status durch seine Geschicklichkeit — heute muß er Statussymbole kaufen. Einst wurde seine Phantasie durch einen Geschichten- oder Märchenerzähler zufriedengestellt, heute braucht er dazu die kunstvolle Maschinerie des Fernsehens; einst machte er seine Musik durch Singen oder Spielen selbst, heute ist er vom Radio oder vom Plattenspieler abhängig.

Ist aber die Befriedigung, die sie bringen, genauso groß?

Wir haben unsere psychologischen Bedürfnisse an die Dienste der güterproduzierenden Gesellschaft geknüpft, und je mehr sie uns frustriert, desto mehr werden wir dazu getrieben, noch mehr von diesen Gütern zu produzieren. Es überrascht dann keineswegs, wenn die Arbeiter mehr Geld verlangen. Ein Auto zu kaufen, kann beispielsweise der Schlüssel zur psychologischen Erfüllung sein, die sie bei der Arbeit nicht finden. So bedeutet die Tatsache, daß Arbeitnehmer mehr Geld verlangen, nicht, wie einige Arbeitgeber behaupten, daß die Arbeitnehmer nicht an einer Arbeitsbereicherung interessiert sind — und das trifft auch dann zu, wenn der Arbeitnehmer sich der Art seiner eigenen Motive nicht bewußt ist.

Wir haben eine Welt der Ersatzbefriedigungen geschaffen und zugleich eine Welt der Ablenkung. Der hypnotische Appeal des Fernsehens liegt darin, daß er die Leere im Leben eines Menschen verbirgt. An den Wochenenden im Auto herumzufahren, verbirgt die Tatsache, daß jemand nichts Besseres zu tun weiß. Drogen und die <Erregung>, wie sie durch die Zuschauersportarten geliefert wird, erfüllen die gleiche Rolle. Und die Räder der Industrie drehen sich weiter, wie es bei einer direkten Befriedigung nicht der Fall wäre.

Die Schlußfolgerung heißt: wir müssen anstelle unserer heutigen güterorientierten Gesellschaft eine bedürfnisorientierte schaffen. Bisher haben wir in diese Richtung nicht einmal den allerersten Anfang gemacht. 

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Gordon Rattray Taylor  Das Experiment     Neuordnung der Gesellschaft