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   Einleitung   Meißner-2017 

 

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Der Klimawandel vollzieht sich bereits, die Energie- und Lebensmittelpreise steigen, vor allem in ärmeren Ländern, die Böden schwinden und werden knapp, die Ölquellen haben wohl schon den Höhepunkt ihrer Erschließ­barkeit überschritten.

Das Artensterben nimmt rapide zu. In vielen Ländern droht bzw. besteht bereits ein Trinkwassermangel, Konflikte um die verbleibenden Ressourcen sind schon im Gang. Der Begriff der Nachhaltigkeit ist kein Fremdwort mehr, er wird eher schon inflationär benutzt. Ein globaler Marshallplan soll aufgelegt werden, von einer moralischen und geistigen Herausforderung für die ganze Menschheit wird immer wieder gesprochen.

Obwohl diese Themen mittlerweile in irgendeiner Form nahezu täglich in den Medien auftauchen, oft in anderen Zusammenhängen, fällt ansonsten ein großes Schweigen auf. Im privaten oder beruflichen Kreis wird kaum darüber gesprochen. Ängste um den Arbeitsplatz, finanzielle Sorgen, das kaputte Auto, das neue Update, gesund­heitliche Probleme, Beziehungspflege in der Partnerschaft, Sorgen für eine gute Ausbildung der Kinder, Alltags­organisation und Freizeitplanung, all das sind für die meisten Menschen die wichtigsten Anliegen, sie betreffen einen ja auch direkt jeden Tag.

Ein Unbehagen, aber auch eine große Ohnmacht wird dabei verspürt – wie die Lähmung vor dem Aufprall, wenn der nicht mehr zu verhindern ist. Derweilen boomt die Freizeitindustrie: der Flugverkehr feiert neue Rekorde, die Motoren unserer Autos werden auch in den letzten Jahren noch leistungsstärker und spritfressender. Um trotz Erwärmung weiter Ski fahren zu können, laufen die Beschneiungsanlagen auf Hochtouren und verbrauchen Wasser in großstädtischem Ausmaß.

Traut man sich doch, Umweltthemen anzusprechen, geht man das Risiko ein, als Spielverderber, Verbreiter schlechter Laune, besserwisserischer Moralist oder als noch nicht ausgelastet genug zu gelten. Eine eher peinliche Stimmung entsteht dabei. Also schweigt man mit, obwohl soviel dazu zu sagen, zu überlegen und zu diskutieren wäre.

Solaranlage auf dem Dach, weniger und sparsamer Autofahren, weniger oder keine Flugreisen mehr unternehmen, öfter mal den Zug und öffentliche Verkehrs­mittel benutzen, Wasser sparen, Heizung besser einstellen, Bioprodukte kaufen, das Kreuz bei der Wahl an der vermeintlich richtigen Stelle machen, Bücher mit 50 Tipps zum Verändern dieser Welt studieren, kritische Dokumentarfilme ansehen und ein Repair-Café besuchen oder gar mitorganisieren -- all das ist schön und gut, aber reicht das?

Sicher könnte man auch einer Partei beitreten, doch nicht jedem steht der Sinn nach langen Hinterzimmerdiskussionen und parteitaktischem Geplänkel. Die Mehrheit der Bevölkerung hat daher kein Interesse daran, selbst die Partei der Grünen stagniert nach leichten Stimmenzuwächsen und verheddert sich im Themengestrüpp; dafür zumindest entstehen mehr Initiativen von Menschen, die alldem nicht mehr so zusehen wollen, immer mehr Bücher über Nachhaltigkeit und neue Lebenskonzepte erscheinen; Organisationen wie Greenpeace, Bund Naturschutz, Transition Town und andere machen mehr von sich reden, neue Internetportale und Zeitschriften preisen den nachhaltigen Konsum als neuen Lebensstil an.

Selbst die konservativen Parteien haben den Klimawandel, die Umweltverschmutzung und zur Neige gehenden Rohstoffe als Problem erkannt. International sandten China und die USA Signale aus, den Klimawandel nun endlich effektiv bekämpfen zu wollen, schließlich musste sich Barack Obama seinen Platz in den Geschichtsbüchern sichern. Man könnte also meinen, alles geht in die richtige Richtung, nachdem ja schließlich auch auf die Finanz­marktkrise 2008 politisch reagiert wurde. Wie damals aber verharrt die Politik weiter im akuten Krisenmodus, langfristige Konzepte und Visionen gibt es nicht. Ukraine, Griechenland, Syrien, Flüchtlinge, Trump – die Probleme jagen sich. Grundlegende Korrekturen unserer ruinösen Wirtschaftsweise werden vermieden.

Vor acht Jahren (2009) sind weite Teile dieses Textes bereits unter ähnlichem Titel erschienen. Acht Jahre sind seitdem vergangen, in denen sich die Welt wieder radikal verändert hat. Nur leider nicht unbedingt zum Besseren. Aber wir haben schon über 40 Jahre verloren seit dem Bericht über die »Grenzen des Wachstums« an den Club of Rome 1972.(1) Seitdem wird prognostiziert, dass die ökologische Krise zunächst über eine Nahrungs­mittelknappheit spürbar werden wird, so wie viele Menschen, vor allem in ärmeren Ländern, das bereits erleben.

Die Zukunft hat begonnen, es geht nicht mehr nur um kommende Szenarien. Wir sind konfrontiert mit der Endlichkeit: der Endlichkeit der Ressourcen sowie des Planeten.

Vielleicht müssen wir damit zunächst so umgehen wie mit der Perspektive der eigenen Endlichkeit: sie nämlich bestmöglich, wider besseren Wissens, ausblenden und verleugnen. Denn erstaunlich ist es schon, dass die Menschen zwar wissen, wie es um sie steht, aber trotzdem weiter alles tun, was ihre Existenzgrundlage vernichtet. Viel davon ist in uralten Wahrnehmungs- und Handlungsprogrammen angelegt, evolutions­biologisch mitgebracht aus einer anderen Zeit, aber auch psychologische Effekte spielen eine Rolle. Probleme wie Klimawandel oder ausgehendes Öl erscheinen noch als weit weg und wenig greifbar, akute Folgen wie Dürren, Brände und Überschwem­mungen werden im Krisenmodus symptomatisch angegangen, für grundlegende Überlegungen bleibt keine Zeit.

Denn diese Rückmeldungen aus der Natur zeigen unangenehme Wahrheiten auf und werden daher von uns und aus den Schlagzeilen rasch wieder verdrängt. Dabei helfen aktuelle politische und wirtschaftliche Krisen, die wiederum oft erstaunlich schnell internationale Einigungen und die Bereitstellung von Milliarden­beträgen bewirken können. Die akuten Probleme führen uns bereits deutlich vor Augen, wie schlimm es kommen kann, wenn man das »immer mehr und immer schneller« nicht freiwillig aufgeben will.

Dieser Antrieb scheint jedoch in speziell menschlichen Bedürfnissen angelegt zu sein. Die Krise heute ist daher letztlich Teil grundlegender ökologischer Mechanismen, zu denen auch der menschliche Drang zur Natur­beherrschung und -nutzung gehört.

Es wird deutlich werden, wie wir der Umweltkrise heute schon begegnen, wie wir ihr eigentlich begegnen könnten, wie begrenzt wir aber in unseren mentalen und realen Möglichkeiten dabei sind. Daher trügt die Hoffnung, die Krise auf direktem Wege politisch und technisch lösen zu können. Gerade auch Natur­wissenschaftler verweisen eher auf Werte, die es zu erneuern gelte.

Wenn man aber berücksichtigt, wie schwer diese zu ändern sind, und wie wenige Vorbilder es in den letzten Jahren gegeben hat, die etwa Empathie, Kooperation, Offenheit und Lernbereitschaft vorgelebt haben, erscheint auch dies kaum als allgemein möglicher Ausweg. Zu fest verankert sind im Menschen in Jahrmillionen erprobte Verhaltensweisen, die lange sinnvoll und nötig zum Überleben waren, aber in einer erst seit kurzem völlig veränderten Lebenswelt nicht mehr tauglich sind. So kommen wir heute mit zeitlich und räumlich kurzfristigem Denken nicht mehr weiter.

Doch viele Möglichkeiten gibt es nicht. Es lohnt sich, die von Experten vorge­schlagenen Wege zur Lösung der ökologischen Krise oder wenigstens zur Entwicklung von Resilienz dafür anzusehen, selbst wenn man dann zu dem Schluss kommen muss, dass die Wahrscheinlichkeit ihrer erfolgreichen Umsetzung sehr gering ist. Für große Gesetzespakete, wie sie gegen die Finanzkrise rasch verabschiedet wurden, ist die ökologische Krise offenbar immer noch zu abstrakt und uns in den reichen Ländern zu wenig betreffend. Politische Visionen zur Neuorientierung unserer Lebensweise bleiben weiter Mangelware.

Jedem Einzelnen bleibt es dennoch offen, sich an den bereits zahlreich existierenden Lösungsvorschlägen zu orientieren, sich aus der Masse heraus zu bewegen, eigene Entscheidungen zu treffen, aus der eigenen Freiheit und Verantwortung heraus, was vielleicht in Zeiten allgemeiner Sinnkrise sogar wieder Orientierung und Befriedigung geben kann. Krisen können einen so gesehen auch vorwärts bringen.

Global gesehen jedoch stehen wir vor der schweren Aufgabe, es aushalten zu müssen, dass sich die bedrohliche Entwicklung wohl allenfalls verzögern, nicht jedoch umkehren lassen wird. Dies zu begründen und trotzdem eine angemessene, lebens­bejahende Haltung dazu zu entwickeln ist Ziel dieses Buches.

Es ist zu spät, schmerzhafte Veränderungen zu verhindern. Nur zugeben will das offiziell niemand, um sich nicht unbeliebt zu machen und als Apokalyptiker zu gelten. In den meisten Publikationen zum Thema wird – bei allen Warnungen – dann auf den letzten Seiten doch ein Optimismus herausgestellt, der zumeist im Widerspruch steht zu dem, was vorher berichtet wurde.

Daher soll dieses Buch trotz aller Faktenfülle kein Fachbuch sein, sondern eine Streitschrift, die gerne provozieren mag. Nicht jeder wird der These zustimmen, dass die globale Krise nicht abzuwenden ist, sondern sich eher noch zuspitzen wird. Zumindest deuten sich schon Strukturen für eine Zeit nach einschneidenden Umbrüchen an, die statt Verzicht eher einen Gewinn an Lebensqualität darstellen können – vorausgesetzt, die Umwälzungen verlaufen nicht zu heftig. Vielleicht wird es sogar einmal ein Aufatmen geben, wenn es ein Ende hat mit Autos und Asphalt, Konsum und Kredit, immer mehr Wachstum und Wohlstand.

Ein solches Buch muss sich auch fragen lassen, was es kann und was es will, an wen es sich also richtet. Es ist bewusst nicht hochakademisch verfasst, sondern möchte mit lesbarem Duktus auch Menschen ansprechen, die sich bisher noch nicht intensiv mit Umweltfragen beschäftigt haben. Sicher lässt sich dabei ein missionarisches Anliegen des Warnens und Bekehrens nicht immer vermeiden.

Aber ausgehend vom Unbehagen, das auch Nicht-Öko-Engagierte angesichts der globalen Entwicklung befällt, besteht zumindest die Chance, dass auch sie bei diesem Gefühl abgeholt werden können. Denn es geht nicht darum, nun völlig neuartige Vorschläge zur Bewältigung der Umweltkrise zu machen. Die sind in zahlreichen Fachbüchern und Vorträgen bereits vorgelegt worden. Eigentlich ist alles gesagt. Aber gerade beim Blick in verschiedene Fachrichtungen ergeben sich Zusammenhänge und Schlussfolgerungen, die so vielleicht noch nicht geäußert wurden. Und es wird Zeit, die psychischen Aspekte dabei, die letztlich immer den Intellekt übersteuern und unser Handeln bestimmen, in den allgemeinen Fokus zu rücken, auch wenn damit gleich zwei leider oft unbeliebte Themen, nämlich »Öko« und »Psycho«, behandelt werden.

Ausgehend von der eigenen Profession als Psychiater und Psychotherapeut, also der Beschäftigung mit seelischen Krisen und Krankheiten, möchte ich versuchen, das bisherige Management der Umweltkrise zu beleuchten und dabei auch nachzuzeichnen, auf welchen Wegen wir eigentlich in das aktuelle Dilemma geraten sind. Die leitenden Fragen dabei sind, ob wir Menschen biologisch und psychologisch überhaupt in der Lage wären, unser Verhalten noch entscheidend zu ändern, und welche Haltung wir zu der Schlussfolgerung einnehmen, dass die globale Krise wohl kaum mehr abzuwenden ist, ohne in Resignation zu verfallen.

Viele Menschen sind heute stark verunsichert. Das Misstrauen in Politik, Wirtschaft und Technik ist groß. Man braucht kein Umweltspezialist zu sein, um sich ein Bild von der Situation und der Unzulänglichkeit vieler Lösungs­vorschläge zu machen. Es genügen eine gut recherchierende Tageszeitung, ergänzende Informationen anderer Medien sowie entsprechende Fachliteratur. Nur ist es nötig, die oft zusammen­hanglos nebeneinander­stehenden Meldungen und Berichte zusammenführen (die zahlreichen Fußnoten zum Quellenbeleg können gerne zunächst überlesen, vielleicht dann später nochmals nachgeschlagen werden). Mein Ausgangspunkt ist daher zusätzlich der des täglich Informationen aufnehmenden, zunehmend besorgten Bürgers. Im Blick bleiben dabei aber stets die psychischen Mechanismen, die letztlich das menschliche Verhalten entscheidend steuern.

Für die realistische Beurteilung von Therapie und Prognose ist zuvor eine genaue diagnostische Untersuchung erforderlich, um nicht zu falschen Schlüssen zu kommen. Zu betrachten sind zunächst die langen Wege, die in die Krise geführt haben.

Im ersten Kapitel wird dazu die ökologische Krise mit vielen Zahlen und Fakten, die zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Buches verfügbar waren, sowie mit den möglichen Folgen nochmals kompakt dargestellt. Etliche Zusammenhänge und Querbezüge zu anderen aktuellen Themen ergeben sich daraus. Sicher bleibt die laienhafte Darstellung unvollständig, auch Fehler mögen sich vereinzelt eingeschlichen haben. Aber die Grundtendenz des Raubbaus am Planeten durch unsere Lebensweise ist vielfach belegt, und darüber ist letztlich zu diskutieren.

Der Leser, dem die Beschreibung der ökologischen Krise zu deprimierend ist oder zu ausführlich erscheint, kann auch gleich das darauf folgende Kapitel zur Evolution und Entropie aufschlagen. Hier lässt sich nachvollziehen, auf welchen von Naturgesetzen gesteuerten Wegen der Mensch eigentlich in das aktuelle, in diesem Ausmaß bisher einmalige Dilemma geraten ist, nachdem wir die meiste Zeit unseres Daseins auf diesem Planeten eingebettet in natürliche Kreisläufe gelebt haben, die wir heute nicht mehr anerkennen wollen. Deutlich wird dabei, welche grundlegenden Grenzen unserem heutigen Ressourcen- und Energieverbrauch gesetzt sind.

Dies führt weiter zu der Frage, warum uns die so dringend nötige Verhaltensänderung so schwer fällt, obwohl wir doch eigentlich wissen oder zumindest ahnen, wie es um den Globus steht. Biologische und psychologische Mechanismen, etwa der Verleugnung oder des Weges mit geringstem Aufwand, spielen hier die entscheidende Rolle. Dies wird noch klarer, wenn man sich im darauf folgenden Kapitel die Lösungsvorschläge von Experten anschaut. Sie stellen in diesem zweiten großen Buchabschnitt fragliche Wege aus der Krise dar. Deutlich wird dabei, dass es nicht genügt, sich nur auf die Machthabenden und Entscheidungs­träger in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu verlassen; letztlich läuft es auf die Verantwortung des Einzelnen hinaus (was für Therapeuten immer ein spannender Ansatz ist).

Um diese wahrzunehmen, ist wiederum ein Wertewandel nötig, der aber nicht so rasch möglich erscheint wie eigentlich erforderlich, und auch nicht verordnet werden kann. Wir werden sehen, dass die Werteentstehung ein komplexer und langwieriger Prozess ist, der auch von Emotionen abhängt. Doch selbst meine Fachdisziplinen, also Psychotherapie und Psychologie, die darauf eigentlich spezialisiert sind, können hier nur wenig weiterhelfen.

An dieser Stelle kann der Schlussfolgerung, dass die globale Krise nicht abwendbar ist, nicht mehr ausgewichen werden. »Nachhaltige Entwicklung zwischen Notwendigkeit, Tugend und Illusion«, beschrieb vor einigen Jahren ein renommierter Ökologe die Situation.(2) Das macht die Widersprüche deutlich, in denen wir stecken. Ähnlich ist die emotionale Reaktion darauf: Ohnmacht, Wut und trotzdem Hoffnung sind oft die Folge solcher unangenehmen Erkenntnisse. Daher ist – nun im dritten Teil des Buches – ein eigenes Krisenmanagement erfordert.

Mit Bezug auf existenzielle Angelegenheiten, mit denen wir auch im privaten Leben konfrontiert sind, etwa den Fragen nach der Begrenztheit des Lebens und seinem Sinn, wird schließlich versucht, die Überwindung von Ohnmacht und Lähmung zu ermöglichen und eigene kreative Lösungen anzuregen. Allein schon ein achtsamerer Umgang mit sich, den Mitmenschen und dem jeweiligen Lebensraum, was auch weniger Arbeit, weniger Konsum und weniger Freizeitstress beinhalten kann, ist hier für den Einzelnen sogar eher entlastend. Daher lohnt es sich, die Chancen zu betrachten, die in dieser wie in jeder Krise liegen.

Einige Überlegungen können uns im Angesicht der scheinbar übermächtigen ökologischen Krise vielleicht entlasten: etwa dass wir uns befreien dürfen von dem Druck, dass wir, die wir heute leben, alleine schuld an der Misere sind, und von der belastenden Meinung, dass wir nach der langen Entwicklung, die uns zum heutigen Punkt geführt hat, diese nun in kürzester Zeit aufhalten müssten.

Daher ist dieses Buch vielleicht gar nicht so negativ und frustrierend, wie es zunächst den Anschein hat.

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Einleitung von Dr. Andreas Meißner, München