Start     Weiter 

1.  Grenzüberschreitung    Meadows-1992

 

»Die Zukunft ist nicht mehr so, wie wir sie uns einst vorgestellt haben
und wie sie aussehen könnte, wenn die Menschen ihre Hirne und ihre Möglich­keiten besser genutzt hätten.
Dennoch kann die Zukunft noch immer das bieten, was wir vernünftiger­weise brauchen.«

Aurelio Peccei  in "One hundred pages for the future" (Pergamon-Press-1981)

21-34

»Übers Ziel hinausschießen« bedeutet, Grenzen unwissentlich und unbeabsichtigt zu überschreiten. Täglich werden in den verschiedensten Bereichen des Lebens Grenzen überschritten, die eingehalten werden sollten. Da schlittert zum Beispiel auf vereister Straße ein Kraftwagen unversehens über ein Stoppzeichen hinaus.

Man kann die Fangkapazität einer Fischereiflotte so ausbauen, daß sie den Fischbestand ausrottet, der doch die Grundlage ihrer Existenz ist. Immer wieder kommt es vor, daß nach einem Bebauungsplan mehr teuere Eigentums­wohnungen hochgezogen werden, als sich dann zahlungsfähige Interessenten finden lassen. Wenn ein Kraftwerk zu groß geplant wird, kann es nach Fertigstellung mehr Strom liefern, als die Wirtschaft und Privatkunden abzunehmen vermögen.

Es gibt sehr unterschiedliche Grenzüberziehungen. Aber die Ursachen dafür sind immer die gleichen. Erstens haben wir es mit rascher Bewegung, rascher Veränderung zu tun. Zweitens gibt es eine Grenze, über die die Bewegung nicht hinausgehen sollte. Und drittens haben wir Schwierigkeiten, die Situation unter Kontrolle zu halten wegen ... Der Fahrer überschätzt die Bremswirkung auf der schlüpfrigen Fahrbahn; die Fangkapazität der Fischerei­flotte wird rascher erhöht als verläßliche Daten über die nachwachsenden Fische vorliegen; das Stromversorgungsunternehmen entscheidet zu rasch auf Grund unsicherer Bedarfsabschätzungen über die Größe eines Kraftwerks, dessen Bau dann Jahre erfordert.

In diesem Buch geht es um Grenzüberziehungen in sehr viel größeren Dimensionen. Sie umfassen die gesamte Menschheit: Ihre Wirtschaft entnimmt die benötigten Rohstoffe unserem Planeten und gibt ihm dafür Abfälle und Umweltgifte zurück. Aber der Abbau der Ressourcen und die Vermüllung erfolgen vielfach zu rasch und sind so nicht länger durchzuhalten. Die Umwelt verkraftet das nicht. Die Menschheit hat ihre Grenzen aus den gleichen Gründen überzogen, die allen Grenzüberziehungen zugrunde liegen. Das Wandlungstempo ist zu hoch, aber die Warnsignale stellen sich erst spät ein, sie sind unvollständig und verzerrt, werden mißachtet oder kurzerhand geleugnet. Der Bewegungsschwung ist hoch, aber die Reaktion ist zu langsam.

Im einfachsten Fall kommt es nach einer Grenzüberziehung zu einer direkten Kollision. Aber auch eine bewußte Kehrtwendung, eine Korrektur durch sorgfältig abgewogenes Zurückfahren ist möglich. In diesem Buch werden diese beiden Möglichkeiten näher analysiert, soweit sie für die menschliche Gesellschaft und ihren Planeten von Bedeutung sind. Wir sind überzeugt, daß Korrekturmaßnahmen möglich sind und daß sie zu einer wünschenswerten, ausreichend versorgten, gerechten und nachhaltigen Zukunft führen können. Wenn aber solche Korrekturen nicht erfolgen sollten, so wird eine Art von Kollaps nicht nur wahrscheinlich, sondern unvermeidlich, und dies wohl noch zu Lebzeiten vieler von uns.

Dies sind bislang nur hochgreifende Behauptungen. Wie aber kamen wir darauf? Wie lassen sie sich belegen?

Wir haben die langzeitlichen Folgen der gegenwärtig ablaufenden Prozesse in der Gesellschaft analysiert. Dazu haben wir vier unterschiedliche Instrumente zur Betrachtung eingesetzt, vier verschiedenartige Linsensätze gewissermaßen, die jeweils unterschiedliche Bilder der Welt ergeben, ähnlich wie Mikroskope und Fernrohre Dinge anders zeigen als man sie mit dem unbewaffneten Auge wahrnimmt. Drei dieser »Linsensätze« sind üblicher Art; sie sind leicht zu beschreiben und relativ einfach zu handhaben: Es handelt sich um die klassischen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Theorien vom Weltsystem; um die statistischen Daten über vorhandene Ressourcen und die Umwelt sowie um unser Computermodell, das derartige Informationen integriert und miteinander in Zusammenhang bringt. Das Buch stellt dar, wie wir diese »Linsensätze« genutzt und was sie uns gezeigt haben.

Unser vierter »Linsensatz« aber ist wahrscheinlich der entscheidende: 

Es ist unsere grundsätzliche Art, die Dinge zu sehen, unsere »Weltsicht«, unser sogenanntes »Paradigma«. Jedermann hat eine derartige Weltsicht. Sie entscheidet stets, was man überhaupt wahrnehmen kann. Und es erscheint fast unmöglich, sie anderen Menschen eindeutig zu beschreiben.


22/23

Unsere Weltsicht wurde zunächst von der Industriegesellschaft westlicher Prägung geformt, in der wir aufgewachsen sind, dazu durch unsere wissenschaftliche und wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung. Beträchtlich beigetragen hat weiterhin all das, was wir von Kollegen bei der Zusammenarbeit in verschiedenen Gebieten der Erde gelernt haben. Besonders bestimmend für unsere Betrachtungsweise aber ist unser system-wissen­schaftlicher Blickwinkel, der nicht von allen geteilt wird.

Diese systemdynamische Betrachtungsweise ist freilich nicht von vornherein besser als andere. Wie jeder Aussichtspunkt, etwa der Gipfel eines Berges, macht sie manche Dinge sichtbar, die man von einem anderen Standort aus nicht erkennen kann; andere Objekte dagegen werden verdeckt. Unsere Systemausbildung hat uns gelehrt, die Welt gewissermaßen als ein Bündel sich dynamisch entwickelnder Verhaltensmuster zu betrachten: Da erkennen wir zum Beispiel Wachstum und Schwund, Zyklen und Grenzüberziehung. Unsere Aufmerksamkeit ist auf gegenseitige Verflechtungen und Wechselwirkungen gerichtet. Die Wirtschaft und die natürliche Umwelt sehen wir in diesem Sinne als ein einheitliches System. Da gibt es Bestandsgrößen, Durchflußmengen, Rückkoppelungen und Grenzwerte. Sie alle beeinflussen unablässig das Verhalten des Gesamtsystems.

Die systemdynamische Betrachtungsweise ist keineswegs die einzig brauchbare zur Analyse dieser Welt. Wir verlassen uns auch nicht allein auf sie. Aber sie vermag besonders aufschlußreiche Informationen zu liefern und macht es möglich, Probleme auf neuartige Weise anzugehen und gleichzeitig unerwartete Möglichkeiten zu erkennen. Wir wünschen uns, daß die Leser diese Betrachtungsweise nachvollziehen, damit sie zu eigenen Schlußfolgerungen über den Zustand dieser Welt gelangen und die sich für die Zukunft bietenden Wahlmöglichkeiten selbst bewerten können.

Die Gliederung dieses Buches entspricht der inneren Logik unserer Analysen des globalen Systems. Man braucht keine höhere Mathematik, um es zu verstehen, und man muß dazu auch kein Computerexperte werden. Wir haben bereits dargestellt, daß es zu Grenzüberziehungen kommt: durch die Kombination von rascher Veränderung, bestehenden Grenzen und unvollständiger Information über die Reaktion auf diese Grenzen.


24

Entsprechend dieser kausalen Abfolge werden wir die globale Situation darstellen: Zuerst betrachten wir die Veränderungen in der Bevölkerung und in der Wirtschaft, dann die auf unserem Planeten wirksamen Grenzgrößen und schließlich die Art und Weise, wie die Menschheit diese Grenzen zu erkennen und auf sie zu reagieren vermag.

Im nächsten Kapitel werden zunächst die raschen Veränderungen behandelt, die im globalen System durch das Bevölkerungs- und das Wirtschaftswachstum entstehen. Seit mehr als 200 Jahren ist Wachstum die dominierende Verhaltensweise unseres sozioökonomischen Systems. Abbildung 1-1 zeigt, wie das Wachstum der Weltbevölkerung immer steiler aufwärts tendiert, obwohl seit kurzem in einigen Ländern die Geburtenraten zurückgehen.


25

Der Abbildung 1-2 ist zu entnehmen, daß die Industrieproduktion noch etwas rascher zugenommen hat als die Bevölkerung, trotz gelegentlicher kurzer Einbrüche bei der Wirtschaftsentwicklung, wie etwa nach größeren Preiserhöhungen für Erdöl. Weil aber das Wirtschaftswachstum generell schneller verlief als das der Bevölkerung, ist auch der materielle Lebensstandard der Menschen zwar langsam, doch unablässig weiter gestiegen - jedenfalls im mathematischen Durchschnitt der Weltbevölkerung. Aber auch die Umweltschädigung nimmt zu.

In Abbildung 1-3 ist der Anstieg des Kohlendioxid-Gehalts der Atmosphäre aufgezeichnet. Er ist eine Folge der Verbrennungsprozesse bei der Nutzung fossiler Brennstoffe und der Brandrodungen großer Waldgebiete. Weitere derartige Graphiken illustrieren das Wachstum beim Einsatz von Kunstdünger, das Wachstum der Städte, des Energieverbrauchs, des Materialeinsatzes und anderer Sektoren menschlicher Aktivitäten. Natürlich wächst nicht alles gleich rasch.


26

So ist zum Beispiel die Zuwachsrate beim Erdölverbrauch weltweit zurückgegangen. Dafür ist die Wachstumrate des Erdgasverbrauchs gestiegen. Einige der Änderungen beim materiellen Verbrauch in den letzten zwanzig Jahren sind in der Tabelle 1-1 zusammengestellt. Man sieht, daß die Wachstumsraten zwar variieren können, daß aber generell das Wachstum der dominierende Faktor bleibt.

Das sollte uns allerdings nicht wundern, da Wachstum von den meisten Menschen geradezu gefeiert wird. Nahezu alle Gesellschaften, die reichen ebenso wie die armen, streben nach Expansion, um mit ihren wichtigsten und dringendsten Problemen fertigzuwerden.


27

In den hochindustrialisierten Staaten erscheint Wachstum notwendig, um die erforderlichen Arbeitsplätze, die soziale Mobilität und den technischen Fortschritt zu sichern. Die armen Menschen in der Dritten Welt sehen im Wachstum die einzige Möglichkeit, jemals aus ihrer erbärmlichen Lage herauszukommen. Man wünscht sich viele Kinder, die in armen Familien auch eine gewisse Garantie für eine spärliche soziale Absicherung darstellen. Solange es keine überzeugenden anderen Lösungen für die dringenden Probleme dieser Welt gibt, werden sich die Menschen an die Vorstellung klammern, daß das Wachstum der Schlüssel zu einer besseren Zukunft sei. Und sie werden alles tun, um noch mehr Wachstum zu erzeugen.

Dies sind jedoch nur die psychologischen und institutionellen Ursachen des Wachstums. Es gibt aber auch strukturelle Ursachen, die gewissermaßen in die verschiedenen Verkopplungen zwischen Bevölkerung und Wirtschaft eingebaut sind. Im Kapitel 2 befassen wir uns mit diesen strukturellen Ursachen des Wachstums und ihren Verflechtungen im System. Es wird dabei klar, warum Wachstum im globalen System so dominiert und warum es nur sehr mangelhaft, wenn überhaupt, Probleme zu lösen vermag.


28

Tatsächlich kann Wachstum zwar einige Probleme beseitigen, aber es schafft dabei neue Probleme. Die bestehenden Beschränkungen sind dafür die Ursache. Dies ist das Thema von Kapitel 3. Unsere Erde ist begrenzt. Deshalb kann jegliche Art materiellen Wachstums, seien es nun die Zahl der Menschen, die ihrer Autos oder auch nur die der Schornsteine, nicht unendlich weitergehen. Aber die wirklich entscheidenden Grenzen für das Wachstum sind nicht die Menge der Menschen, der Kraftwagen, der Gebäude und der Schornsteine. Begrenzt sind vielmehr die Durchsatzmengen an Energie und Materialien, die notwendig sind, um die Menschen am Leben und die Kraftwagen, die Gebäude und die Kamine funktionsfähig zu erhalten.

 

Quellen (Natürliche Ressourcen)  ------Durchsatz---->   Material und Energie in der Nutzung  ------Durchsatz------->   Senken (Abfälle und Umweltgifte)

 

Menschheit und Wirtschaft hängen von einem ständigen Durchfluß von Luft, Wasser, Nahrungsmitteln, Materialien und fossilen Brennstoffen aus der Umwelt ab. All das wird dann in Form von Müll und Verschmutzungen der Umwelt wieder zurückgeliefert. Die Grenzen des Wachstums werden bestimmt von der Leistungsfähigkeit der Quellen dieser Durchsätze in der Erdumwelt und der Aufnahmefähigkeit der Senken, den Müll und die Schadstoffe aufzunehmen und in unschädliche Formen umzusetzen.

Im Kapitel 3 wird an Hand statistischer Daten der Zustand der verschiedenartigen Quellen und Sinks untersucht. Dabei ergeben sich qualitativ unterschiedliche Erkenntnisse, die man als gut und als schlimm einander gegenüberstellen kann.

Zu den schlimmen Nachrichten gehört, daß wichtige Quellen Zeichen der Erschöpfung zeigen und viele Senken überlastet sind. Die Durchsatzmengen, die für die wirtschaftliche Tätigkeit erforderlich sind, können also nicht mehr lange aufrechterhalten werden - auf unabsehbare Zeit schon gar nicht.

Eine gute Nachricht ist dagegen die Feststellung, daß so hohe Durchsatzmengen wie gegenwärtig nicht erforderlich sind, um einen anständigen Lebensstandard für alle Menschen zu sichern. Denn es ist möglich geworden, durch technische Innovationen den Nutzeffekt von Rohstoffen zu erhöhen.


29

Dadurch läßt sich die Produktion von Gebrauchsgütern und Dienstleistungen aufrechterhalten und gleichzeitig die der Umwelt aufgebürdete Last vermindern. Es bieten sich viele Wege und Möglichkeiten, um die menschliche Gesellschaft wieder hinter die kritischen Grenzgrößen des Durchsatzes zu bringen. Aber damit hat es noch nicht sein Bewenden. Die erkennbar gewordenen Möglichkeiten werden noch keineswegs genutzt, zumindest nicht in dem Maße, wie es erforderlich wäre, um eine wirksame Kursänderung herbeizuführen. Sie unterbleibt deshalb, weil offensichtliche und dringende Gründe dafür nicht vorliegen. Dies ist der Hauptgegenstand des Kapitels 4, in dem die Signale näher untersucht werden, welche die Menschheit warnen könnten, weiterhin in einer Phase der Grenzüberziehungen zu verharren. Außerdem wird analysiert, wie rasch die Menschheit auf solche Signale überhaupt reagieren kann. In diesem Kapitel 4 wenden wir uns dem Computer-Weltmodell World 3 zu. Seine Struktur, sein Verwendungszweck und sein Verhalten werden beschrieben. Wir zeigen, was geschieht, wenn das Modell das Verhalten des Weltsystems unter der Voraussetzung simuliert, daß kein struktureller Wandel eintritt, keine Anstrengungen unternommen werden, um vorauszuschauen, Warnsignale einzubauen oder Probleme zu lösen, bevor sie offen sichtbar und kritisch werden. Solche Simulationen zeigen, daß dann die Grenzüberziehung zum Zusammenbruch führt.

Glücklicherweise ist jedoch die reale Welt des Menschen komplexer und flexibler als ein zwangsläufig sehr viel einfacher strukturiertes Weltmodell. Im Kapitel 5 beschäftigen wir uns daher mit einem ermutigenden Beispiel über die Fähigkeiten der Menschen, vorauszublicken, Beschränkungen zu erkennen und Aktivitäten zurückzuschrauben. Wir beschreiben die weltweiten Reaktionen auf die Berichte über den Zerfall der Ozonschicht der Stratosphäre. Das ist eine aus verschiedenen Gründen sehr wichtige Fallstudie. Einerseits nämlich berechtigt sie zur Hoffnung, andererseits illustriert sie, Punkt für Punkt, alle strukturellen Phasen und Zusammenhänge, die auch im Weltsystem auftreten: rasches Wachstum bei bestehenden Begrenzungen, träge Reaktionen auf Warnsignale (sowohl politischer Art wie auch im natürlichen System) und schließlich Grenzüberziehungen. Die Schlußfolgerungen, die aus der Story vom Ozonloch zu ziehen sind, erscheinen auch heute noch nicht eindeutig. Das wird auch in den nächsten Jahrzehnten so bleiben. Deshalb handelt die Geschichte im Grunde von der vorausschauenden Vorsicht.


30

Sie wird zum Musterbeispiel dafür, wie schwierig es ist, mit unserem lückenhaften Wissen und unseren bescheidenen Fähigkeiten zur Voraussicht dem komplexen Wirtschaftssystem trotz des hohen Veränderungsdrucks gangbare Wege durch die noch viel kompliziertere natürliche Umwelt zu weisen.

Im Kapitel 6 befassen wir uns wieder mit dem Weltmodell World3 und entwickeln verschiedene Hypothesen über die menschlichen Fähigkeiten, besonders über die Fertigkeiten, in die heute hohes Vertrauen gesetzt wird: die Möglichkeiten der technologischen Entwicklung und des freien Marktes. In einem gewissen Maße sind diese menschlichen Kapazitäten bereits in der Struktur von World3 enthalten. Wir stellen jetzt die Frage, was geschehen würde, wenn die Weltgesellschaft all ihr Können mit Nachdruck auf jene Technologien konzentrieren würde, mit denen man Umweltverschmutzung vermeiden, nutzbare Böden erhalten, das Gesundheitswesen und das Recycling verbessern und die Effektivität der Ressourcennutzung erhöhen kann. Eine solche Konzentration würde tatsächlich viel helfen, wäre aber nicht ausreichend. Denn technologische Maßnahmen und Reaktionen des Marktes wirken stets verspätet und sind in sich unvollständig. Sie benötigen Zeit, Kapital und erfordern eigene Material- und Energieflüsse. Ihr jeweiliger Nutzeffekt kann außerdem leicht durch überwiegende Wachstumskräfte zunichte gemacht werden.

Technologischer Fortschritt ist ebenso wichtig wie flexibles Marktverhalten. Aber um das Weltsystem in den Zustand der Nachhaltigkeit hinüberzuführen, ist mehr erforderlich. Im Kapitel 7 ist davon die Rede. Wir sehen dort den Verlauf von Simulationen, für die Intelligenz durch Weisheit ergänzt wurde. Dabei werden zwei verschiedene Versionen des Begriffs »Genug« definiert. Die eine bezieht sich auf den materiellen Verbrauch, die andere auf wünschbare Familiengrößen. Zusammen mit den technologischen Veränderungen, die schon bei den in Kapitel 6 beschriebenen Simulationen wirksam geworden sind, ergeben nun neue Simulationen, daß sich die Weltbevölkerung bei etwa acht Milliarden stabilisiert. Alle diese Menschen könnten unter Bedingungen leben, die etwa dem mittleren Lebensstandard im gegenwärtigen Europa entsprechen. Und bei vertretbaren Annahmen zur zukünftigen Effizienz des freien Marktes und zum weiteren technischen Fortschritt wären die für eine derartige Gesellschaft erforderlichen Material- und Energieflüsse immerhin so reduziert, daß sie auf unabsehbare Zeit durchgehalten werden könnten. Bei diesem Simulationslauf wird also die Phase der Grenzüberziehung in einen Zustand der Nachhaltigkeit umgewandelt.


31

Aber der Begriff der Nachhaltigkeit ist unserer vom Wachstum bestimmten Welt so fremd, daß er in Kapitel 7 genau definiert werden muß. Wir schildern, wie eine Welt im Zustand der Erhaltbarkeit aussehen könnte - und auch, wie sie nicht aussehen würde. Wir sehen keine Gründe dafür, daß in einer nachhaltigen Welt Menschen noch in Armut leben müßten. Im Gegenteil, wir glauben, daß es in einer solchen Welt sowohl möglich wie nötig wäre, allen Menschen einen höheren Standard materieller Sicherheit zu gewähren als sie heute haben. Eine nachhaltige Gesellschaft befände sich weder im Zustand der Stagnation, noch wäre sie langweilig oder unbeweglich. Sie müßte weder zentral kontrolliert noch einheitlich und undemokratisch regiert werden. In solch einer Welt stünden die erforderliche Zeit und die Mittel zur Verfügung, um die begangenen Fehler zu korrigieren und sich zu entwickeln, ohne über die gesetzten Grenzen hinauszuwachsen.

Das Schlußkapitel 8 verdankt sich stärker unseren eigenen Denkmodellen als dem formalisierten Computer-Modell. Es ist unser sehr persönlicher Versuch, eine Welt im nachhaltigen Zustand zu entwerfen und darzulegen, wie man zu ihr gelangen könnte. Das ist natürlich eine komplexe Aufgabe. Wir wissen sehr wohl, wie schwierig es ist, dauerhafte Lösungen für die Probleme der Armut und der Arbeitslosigkeit ins Auge zu fassen, für deren Behebung man bislang einzig auf Wachstum setzte. Aber Wachstum löst diese Probleme auch nicht - und das Wachstum ist eben nicht aufrechtzuhalten. Aber es gibt andere Möglichkeiten.

Was auch immer wir den globalen Daten entnehmen können, was immer die Computerläufe ergeben und uns die eigene Erfahrung vermittelt - alles deutet darauf hin, daß die gangbaren Wege in eine erstrebenswerte Zukunft in den letzten zwanzig Jahren enger und schwieriger geworden sind, weil die Grenzen bereits überzogen wurden. Aber noch immer finden sich gangbare Wege.

Die Abbildung 1-4 gibt einen Begriff davon, wie vielfältig die Möglichkeiten weiterhin sind. Die Darstellung ist durch das Übereinanderkopieren der Kurven zur Gesamtbevölkerung und zum Pro-Kopf-Verbrauch bei allen Computer-Szenarios entstanden, die in diesem Buch vorgestellt werden. Bei solchen Szenarios ergibt sich eine bunte Palette höchst verschiedenartiger Wege in die Zukunft. Einige Kurven zeigen kollapsartige Zusammen­brüche, andere sanfte Übergangsformen in mehr oder minder nachhaltige Zustände. Aber eine Kurve, die kontinuierliches Wachstum erkennen läßt, findet sich nirgends.


32

   

Abbildung 1-4
Unterschiedliche Annahmen über Ziele, Technikentwicklung, Wirtschaftsprioritäten und ökologische Grenzen führen zu unterschiedlichen Entwicklungspfaden bis 2100.
Einige Szenarien zeigen einen Verfall; bei anderen stellt sich ein stabiles nachhaltiges Gleichgewicht auf hohem Niveau ein.

#

Wir müssen die Lasten, die wir der Umwelt auferlegen, mit allen menschlichen Mitteln auf ein nachhaltiges Maß reduzieren durch bewußte Wahl, technologische und organisatorische Anstrengungen; anderenfalls bewirkt dies schließlich die Umwelt selbst auf ihre Weise: durch Mangel an Ernährungsgrundlagen, an Energie und Rohstoffen sowie durch eine mehr und mehr unzuträgliche Umweltsituation.

Vor zwanzig Jahren stellten wir den »Grenzen des Wachstums« ein Zitat des damaligen Generalsekretärs der Vereinten Nationen, U Thant, voran (1969):

»Ich will die Zustände nicht dramatisieren. Aber nach den Informationen, die mir als Generalsekretär der Vereinten Nationen zugehen, haben nach meiner Schätzung die Mitglieder dieses Gremiums noch etwa ein Jahrzehnt zur Verfügung, ihre alten Streitigkeiten zu vergessen und eine weltweite Zusammenarbeit zu beginnen, das Wettrüsten zu stoppen, den menschlichen Lebensraum zu verbessern, die Bevölkerungsexplosion niedrig zu halten und den notwendigen Impuls zur Entwicklung zu geben. Wenn eine solche weltweite Partnerschaft innerhalb der nächsten zehn Jahre nicht zustande kommt, so werden, fürchte ich, die erwähnten Probleme derartige Ausmaße erreicht haben, daß ihre Bewältigung menschliche Fähigkeiten übersteigt.«

Für das vorliegende Buch im Abstand von zwei Jahrzehnten haben wir ein neueres Zitat mit einer optimistischeren Note als Motto gesucht, etwa dieses:

»Die Menschheit ist fähig, die Weiterentwicklung nachhaltig zu gestalten und sicherzustellen, daß sie den Ansprüchen der gegenwärtigen Generation gerecht wird, ohne aber die Möglichkeiten künftiger Generationen zu behindern, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.«   Brundtland-Kommission für Umwelt und Entwicklung (1987)2

Doch wer weiß, womöglich hatte U Thant doch recht und war lediglich mit seiner Zeitangabe etwas voreilig. Dann wird ihn der weitere Verlauf der Geschichte bestätigen. Vielleicht aber liegt die Wahrheit auch in der Mitte zwischen den Einschätzungen der beiden Zitate. Denn beide zusammen umfassen, auch nach den Ergebnissen unserer Analyse und nach unserem eigenen Urteil, die enorme Spannweite möglicher künftiger Entwicklungen dieser Welt. Und sie akzentuieren die Bedeutung der Entscheidungen, die wir zu treffen haben.

33-34

#

 

 

www.detopia.de     ^^^^