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9  Die bedrohte Art      Lauterburg-1998

 

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Jedes Lebewesen besetzt in der Natur eine ganz spezielle ökologische Nische. Alle sind "Spezialisten" für eine ganz besondere Art, sich unter ganz bestimmten Umwelt­bedingungen Nahrung zu beschaffen und sich fortzu­pflanzen. Die Spezialisierung des Menschen besteht darin, nicht spezialisiert zu sein. Er hat sich zur weltweit dominierenden Art entwickelt, weil er gelernt hat, unter verschiedensten Umwelt­beding­ungen zu leben.

Uns findet man im ewigen Eis genauso wie im heißesten Herzen Afrikas, auf Meereshöhe genauso wie in den höchstgelegenen Bergregionen. Wir tauchen wie die Fische und fliegen wie die Vögel. Wir können uns von Fleisch oder als Vegetarier ernähren. Unsere Fortpflanzung funktioniert in der Polygamie genauso gut wie in der Monogamie. Wir verfügen über eine ganze Palette von Möglichkeiten, eine Schwanger­schaft zu verhüten. Und wenn eine Frau dies wünscht, kann sie heute sogar ein Kind gebären, ohne einem Mann nahe kommen zu müssen. Wir sind in Sachen Anpassung die absoluten Weltmeister.

Aber auch unsere Anpassungsfähigkeit hat Grenzen. Es gibt Dinge, auf die auch wir nicht verzichten können. Dazu gehören zum Beispiel saubere Luft, frisches Wasser und gesunde Nahrung.

  Luft zum Atmen 

Stellen Sie sich unsere Erdkugel als Globus mit einem Durchmesser von einem halben Meter vor, wie man ihn in jedem Waren­haus kaufen kann. Die Erd­atmosphäre wäre dann 1,8 Millimeter dick, die Schicht, in der wir atmen können 0,2 Millimeter. Wir haben es also mit einem hauchdünnen, hochsensiblen und im übrigen äußerst kostbaren Film zu tun. 

Wenn bei der Erkundung des Weltalls irgendwo ein Planet entdeckt wird, untersuchen die Astronomen immer als erstes, ob er eine Atmosphäre hat, und, wenn ja, ob sie Sauerstoff enthält. Daß es irgendwo im Weltall derartige Himmels­körper gibt, wird heute kaum mehr ernsthaft bezweifelt. Bezweifelt wird, daß wir jemals einen entdecken werden. Solche Gebilde sind außerordentlich dünn gesät. Es wäre ein gewaltiger Zufall, wenn sich in dem winzigen, von uns überblick­baren Teil des Universums außer unserer Erde noch ein zweites finden würde.

Nun haben wir aber einen Planeten, dessen Atmosphäre Sauerstoff enthält, und da wir diesen dringend benötigen, wäre es gut, wenn wir uns darum kümmern würden, was mit ihm passiert.

Als unsere Atmosphäre noch gesund war, enthielt sie einen Sauerstoffvorrat, der für alle Menschen und Tiere etwa 300 Jahre gereicht hätte. Dieser Vorrat blieb während Jahrmillionen ungefähr gleich, weil zwei große Sauerstoff-Lieferanten ihn laufend aufgefüllt haben: das Phytoplankton, pflanzliche Kleinlebewesen im Meer, und die Laubbäume an Land. Grundsätzlich liefern zwar alle Pflanzen Sauerstoff, aber bei weitem nicht alle in so bedeutenden Mengen. Nun ist seit einiger Zeit folgendes im Gange:

Da stellt sich eine simple Frage: Wo soll in Zukunft der Sauerstoff herkommen? Oder anders gefragt: Bis wann wird der vor­handene Sauerstoff zum Atmen reichen? 300 Jahre sind es jedenfalls schon lange nicht mehr. Es ist allerdings kaum anzunehmen, daß wir wegen Sauerstoffmangel ersticken werden. Andere Faktoren könnten vorher unser Ende bewirken. Dazu gehören drei, die ebenfalls etwas mit unserer Atmosphäre zu tun haben, und über die im nächsten Kapitel zu sprechen sein wird: die Schadstoff­konzentration, der Treib­haus­effekt und das sogenannte Ozonloch.

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   Wasser zum Trinken 

Traurig, aber wahr: Es gibt weltweit kein sauberes Wasser mehr. Die Meere sind verschmutzt. Die Giftfracht der Flüsse macht die Fische ungenießbar. Die Böden sind überdüngt, der Regen sauer, das Grundwasser ver­seucht. Noch kann man das Wasser zumeist zwar trinken, aber es ist, wenn auch in geringer Konzen­tration, mit Giftstoffen versetzt. Mineralwasser großer Getränkemarken, für die mit Bildern von kristall­klaren Quellen und Bergbächen Reklame gemacht wird, sind nicht selten stärker verschmutzt als das Wasser aus der Leitung.

Um zu erfahren, wie das Wasser auf dieser Erde ursprünglich beschaffen war, muß man im Eispanzer der Polkappen einige hundert Meter tief bohren. Dann stößt man auf Eis, das sich vor tausend oder mehr Jahren durch Schneefall gebildet hat. Und siehe da: Man erhält eine Probe wirklich sauberen Wassers.

Die Versorgung mit Wasser wird aber auch unabhängig vom Reinheitsgrad zum Problem. Die Abholzung der Wälder und die Zersiedelung der Landschaft führen weltweit zu einer Absenkung der Grundwasserspiegel. Die Böden können das Regenwasser nicht mehr aufnehmen, es fließt an der Oberfläche sofort wieder ab. Immer häufiger kommt es zu verheerenden Über­schwemmungen — und die Wasservorräte im Boden werden nicht mehr aufgefüllt. Mitte des nächsten Jahrhunderts — so eine Prognose des World Resources Institute — werden 2,5 Milliarden Menschen, also fast die Hälfte der heutigen Erdbevölkerung, an Trinkwasser­knappheit leiden.

Wasserknappheit hat drei, für die betroffenen Menschen vitale Konsequenzen: die Gefahr zu verdursten, das Austrocknen der Agrarböden und durch mangelnde Hygiene verursachte Epidemien.

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   Nahrung zum Essen  

1974, anläßlich des ersten Welternährungsgipfels, hatte der damalige US-Außenminister Henry Kissinger folgendes verkündet: "In zehn Jahren wird kein Mann, keine Frau, kein Kind mehr hungrig zu Bett gehen."

Heute, fast 25 Jahre später, leiden 840 Millionen Menschen an chronischer Unterernährung, Millionen verhungern, pro Tag sterben 30.000 Kinder allein an den Folgen von Unterernährung. Die Haupthunger­gebiete befinden sich in Asien und in Afrika. Aber auch in den USA oder in Osteuropa sind heute Millionen von Menschen unterernährt.

1996 lud die UNO-Ernährungs- und Landwirtschaftsbehörde FAO wiederum zu einem Ernährungs-Gipfel­treffen nach Rom ein. Und auch hier wurden Visionen einer goldenen Zukunft beschworen: Die Zahl der Unterernährten soll bis spätestens 2015 halbiert werden, und in 30 Jahren werde man den Hunger weltweit endgültig besiegt haben. Der Chef der Weltbank, Wolfensohn, verstieg sich gar zu folgendem Satz: "In fünf Jahren wird die Welt anders aussehen." Mit "anders" meinte er "besser". Herr Wolfensohn ist kein Zyniker. Er glaubt, in fünf Jahren die Armut auf dieser Welt drastisch senken zu können. Der Titel von Teil IV dieses Buches lautet: "Fata Morgana — oder die Fähigkeit, zu glauben".

Das Worldwatch-Institute in Washington, ein renommiertes Forschungsinstitut, dessen Berichte über den ökologischen Zustand der Erde weltweit beachtet werden, beurteilt die Lage anders. In der Landwirtschaft sind die Grenzen des Wachstums erreicht. Die nutzbaren Agrarflächen sind erschlossen, wesentliche Ertrags­steigerungen nicht mehr möglich. Im Gegenteil: Viele Böden sind ausgelaugt; Bewässerung wird zum Problem; die rasant wachsenden Städte fressen Agrarflächen weg und plündern die Grund­wasser­reserven.

Der amerikanischen Kornkammer, einem der wichtigsten Getreideproduktionsgebiete der Welt, droht als Folge des wegen exzessiver Bewässerung abgesunkenen Grundwasser­spiegels in absehbarer Zeit die Verwüstung. In den Schwellenländern schafft das explosive Wirtschafts­wachstum neue Fakten. Allein auf der Insel Java in Indonesien werden pro Jahr 20.000 Hektar Land zubetoniert — eine Fläche, die 280.000 Menschen mit Reis versorgen könnte. Die Bevölkerung Javas wächst im gleichen Zeitraum um drei Millionen.

Der Wirtschaftsboom in China wird nach Schätzungen von Experten mehrere zehntausend Quadrat­kilometer Boden der Versiegelung zuführen. 1995 hat sich das Reich der Mitte vom Getreide­exporteur in einen der größten Importeure verwandelt. Wenn Bevölkerung und Wirtschaft, wie abzusehen, weiter wachsen, wird China im Jahre 2030 einen Einfuhrbedarf von mehr als 300 Millionen Tonnen Getreide haben. Dies übertrifft den heutigen weltweiten Getreidehandel um mehr als 50 Prozent.

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Theoretisch ließe sich das Hungerproblem um einiges entschärfen: Es dürfte lediglich kein Fleisch mehr gegessen werden. Für 1 Kilogramm Schweinefleisch werden 4, für 1 Kilogramm Rindfleisch 7 Kilogramm Getreide verbraucht. Doch in Süd­amerika und in Asien wird neues Agrarland zunehmend von Zuliefer­betrieben für die großen amerikanischen Fastfood-Ketten bewirtschaftet, welche weltweit, nicht zuletzt in den neuen Wirtschafts­zentren Asiens, traum­hafte Zuwachsraten verzeichnen.

Das Resümee des Worldwatch Institute: "Bislang wurden die alarmierenden Entwicklungen unterschätzt. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte muß sich die Menschheit auf einen stetigen und zeitlich nicht absehbaren Rückgang der pro Kopf verfügbaren Nahrungs­mittel einstellen."

Dabei ist der Welthunger, bei Lichte betrachtet, nicht mal nur eine Frage der pro Kopf der Weltbevölkerung verfügbaren Getreide­menge. Was insgesamt in den Silos auf Halde liegt, würde - zumindest zur Zeit - allemal noch reichen, um das Schlimmste zu verhindern. Aber es gibt eine ganze Reihe anderer Engpaßfaktoren: Erstens, irgend jemand muß Geld auf den Tisch legen, bevor auch nur ein Sack Getreide ein Silo verläßt. Zweitens, das Getreide muß möglicherweise um den halben Erdball transportiert werden. Drittens, wenn es im Zielgebiet angekommen ist, muß eine logistisch nicht immer ganz einfache Feinverteilung zu den oft über weite Gebiete verstreuten, hungernden Menschen bewerkstelligt werden. 

Aber auch wenn all dies sichergestellt wäre, kann noch vieles schiefgehen. In Krisengebieten werden ganze Lebens­mittelkonvois von Militärs einer kriegführenden Partei kurzerhand beschlagnahmt — oder so lange blockiert, bis alles verrottet ist. Und wenn die Lieferung vom Sender nicht Schritt für Schritt begleitet wird, kann es passieren, daß geschäftstüchtige Behördenvertreter des Empfängerlandes ganze Schiffsladungen, bevor sie gelöscht werden können, woandershin umdirigiert und verkauft haben.

Boden zum Bepflanzen

Neben der Zersiedelung ist es vor allem die Verseuchung, welche die Anbau­möglichkeiten reduziert. Kunst­dünger und Pflanzen­schutzmittel reichern den Boden mit giftigen Chemikalien und Schwer­metallen an. Im Laufe der Jahre dringen diese in tiefere Schichten ein und verseuchen das Grundwasser. Da die Böden immer weniger hergeben und viele Schädlinge mit der Zeit den Pestiziden gegenüber Immunität entwickeln, werden immer größere Mengen an Düngemitteln eingesetzt und an Giften verspritzt.

Bereits in unseren sogenannten entwickelten Ländern wird auf beiden Seiten vielbefahrener Straßen ein 10 bis 15 Meter breiter Streifen Land durch Schwer­metalle kontaminiert. 

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In Entwicklungs- und Schwellenländern wird die Umwelt noch radikaler zerstört. Die Autos sind im Durchschnitt älteren Jahrganges, schlecht gewartet, und verbrennen Treibstoff minderer Qualität. Katalysatoren sind so gut wie unbekannt. Die Industrieschlote schleudern den Dreck ungefiltert in die Luft. Die Kanalisationssysteme der Städte sind, wo vorhanden, reparaturbedürftig. Der Klär­schlamm, der als Dünger über die Felder verteilt wird, ist mit Schwermetallen angereichert. Die Mülldeponien platzen allenthalben vor den Städten aus den Nähten und verseuchen die Böden und das Grund­wasser.

Weltweit versteppen, verwüsten und verkarsten jedes Jahr unvorstellbare Flächen. China ist nur das größte und bevölkerungs­reichste unter den Ländern, die aufgrund eines gigantischen Verlustes an Agrarböden einen wachsenden Bedarf an Getreide­importen haben. Wenn aber China allein mehr Getreide importieren möchte, als die USA insgesamt exportieren können, stellt sich die simple Frage, wo denn die weltweit benötigten Getreide­mengen herkommen sollen. Kopfrechnen reicht da nicht mehr. Zaubern ist gefragt.

Wald zum Holzschlagen

Holz ist für den Menschen ein wichtiger Rohstoff — als Energieträger in ärmeren Gegenden sogar lebens­wichtig. Doch auch diese Ressource wird weltweit knapp.

Raubbau an den Wäldern ist keine Erfindung der Neuzeit. Das ganze Mittelmeergebiet war einst dicht bewaldet. Die Römer haben so lange so viele Kriegsschiffe gebaut und mit Galeerensklaven bemannt, bis es nur noch in unzugänglichen Bergregionen etwas gab, das den Namen Wald verdient.

Heute führen wirtschaftliche Interessen — der Handel mit wertvollen Hölzern und die zunehmende Knapp­heit an bebaubaren Böden — zur systematischen Vernichtung der letzten großen Wälder. Allein Amazonien, die Lunge dieser Erde und von entscheidender Bedeutung für das Weltklima, hat im Jahr 1995 rund 5,5 Millionen Hektar Regenwald — mehr als die Fläche der Schweiz — durch Kahlschlag und Brand­rodung verloren. Weltweit dürfte im gleichen Jahr etwa die Fläche Deutschlands an Wäldern verloren­gegangen sein.

Die Hauptverursacher und Profiteure dieser Umweltverbrechen sind große Holzhandelskonzerne. Sie verkauf­en die tropischen Hölzer vor allem in die reichen Industrienationen. An zweiter Stelle stehen Agrarindustrielle, welche ganze Regionen niederbrennen, um Viehweiden anzulegen. 

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Hier geht es um die Produktion von Fleisch. Viele dieser Großfarmen gehören einer der großen, weltweit tätigen Fastfood-Ketten. Dazu kommen Massen von Kleinbauern, die sich mit der Kettensäge Acker- oder Weideland beschaffen. Von amerikanischen Beobachtungs­satelliten sind bisweilen bis zu 70.000 Brandherde vermeldet worden.

Nach der Rodung können die Böden, die zumeist keine tiefe Krume aufweisen, für einige wenige Jahre land­wirt­schaftlich genutzt werden. Dann sind sie ausgelaugt — nicht selten bereits nach zwei Jahren. Die Feuer­walze zieht weiter. Zurück bleibt im günstigsten Fall ein Stück Steppe, häufiger ein Stück unfruchtbaren Bodens, das innerhalb kürzester Zeit zur Wüste erodiert — und nichts erinnert mehr daran, daß sich dort in Jahrmillionen eines der größten und artenreichsten Biotope dieser Erde entwickelt hatte.

Aber auch Wälder, die nicht durch Kahlschlag vernichtet werden, gehen zugrunde. In den gemäßigten Zonen sterben ausgedehnte Waldgebiete als Langzeitfolge der Luft­verschmutzung einen langsamen und deshalb unauffälligen Tod. Die sich schrittweise ver­schlechternden Kennzahlen sorgen kaum mehr für Schlagzeilen.

Spektakulärer dagegen sind die immer häufiger auftretenden, großflächigen Waldbrände. Sie figurieren gemein­hin unter der Rubrik "Naturkatastrophen". In Tat und Wahrheit sind aber auch sie eine Konsequenz mensch­licher Eingriffe. Es gibt nämlich keine naturbelassenen Wälder mehr. Alle Wälder — sogar die zu Touristen­attraktionen hochstilisierten, sogenannten Naturparks — werden "bewirtschaftet": Einzelne, ausge­wählte Bäume werden geschlagen und an Ort und Stelle entastet. Das herumliegende Geäst verdorrt und wird zu Zunder. In einer Trockenperiode genügt ein Funke, und das Ganze steht in Flammen. Wenn Wind herrscht, kann keine Feuerwehr mehr etwas ausrichten. Steppenbrände, vorab in Afrika und Australien, hat es zwar immer gegeben — aber kaum Waldbrände. Ein gesunder Wald kann nämlich gar nicht brennen.

Meer zum Fischen

Die Oberfläche der Erde ist zu über 70 % von Wasser bedeckt. Im Meer ist das Leben auf diesem Planeten seiner­zeit entstanden — nach allem, was man heute weiß, in Tausenden von Metern Tiefe. Dort, wo heiße Quellen ein besonders günstiges Klima schaffen, findet man noch heute Bakterienstämme, die möglicherweise seit Jahr­milliarden unverändert geblieben sind.

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Im Meer leben drei Viertel aller Arten. Der Fischreichtum war noch vor hundert Jahren überwältigend. Im norwegischen Lofot-Busen, wohin die Dorsche von weit her kommen, um zu laichen, haben sich die Fischleiber früher derart gedrängt, daß die Boote der Fischer sich an ihnen gestoßen haben.

Wenn man Bilder der farbenprächtigen Fische sieht, die im Great Barrier Reef, auf den Malediven oder im Roten Meer die Korallenriffe bevölkern, könnte man denken, die Unterwasserwelt sei heute noch in Ordnung. Doch dem ist nicht so. Die Meere sind verschmutzt und überfischt, viele Arten ausgerottet, das ökologische Gleichgewicht gestört. Die Weltmeere sind vor allem in den letzten Jahrzehnten systematisch geplündert worden. Gewaltige Fangflotten verschiedenster Nationalitäten befinden sich permanent auf hoher See. Die schwimmenden Fischfabriken spüren mit modernster Technologie — mit Flugzeugen und mittler­weile bereits über Satelliten — die noch vorhandenen Fischschwärme auf, kreisen sie mit kilometer­langen Netzen ein und verarbeiten sie gleich zu Speisekonserven oder, man mag es kaum glauben, zu Fischmehl als Tierfutterzusatz.

Die russischen, norwegischen, japanischen, kanadischen oder spanischen Armadas müssen immer weiter von ihrer Heimat entfernt nach noch nicht geplünderten Fanggründen suchen. Hierbei kommen sie sich nicht selten gegenseitig in die Quere. Hier und da kommt es bereits zu kleineren oder auch größeren Scharmützeln. Möglicherweise wird man demnächst mit Kriegsschiffen auf Fischfang gehen. Im Süd­polar­meer sind inzwischen die ersten Pinguinkolonien verhungert, weil ihre Fischgründe leergefischt waren.

Mit der größte Schaden wird von Trawlern angerichtet. Sie ziehen riesige, tonnenschwere Schleppnetze über den Meeresgrund, in denen alles, was größer ist als ein Hühnerei, hängen bleibt und zugrunde geht. Die wertvollen Speisefische werden aussortiert, der ganze Rest, die Hälfte bis zwei Drittel des Fang­gewichts, ein Brei aus kleineren Fischen, Krustentieren, Quallen, Muscheln und Pflanzen, wird zurück ins Meer gekippt. Und wo immer ein solcher Pflug durchgezogen ist, sind die Laichgründe zerstört. Was zurückbleibt, ist eine Unterwasserwüste die sich oft nicht regenerieren kann, bis der nächste Trawler über sie hinwegzieht.

Die UNO-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) schätzt, daß 70% der Weltfischbestände erschöpft sind. Auch Arten, die jahrelang geschützt wurden, können sich nicht mehr erholen. Einer der Gründe: Es gibt keine alten Fische mehr, welche die Migrationsrouten und die Nahrungsgründe kennen. 85% der weltweit gefangenen Meerhechte haben das fortpflanzungsfähige Alter noch nicht erreicht.

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Im Golf von Biscaya, einer früher besonders fischreichen Gegend des Atlantiks, herrscht unter Wasser gähnende Leere. Roter Thun, Meerhecht, Brasse, Seezunge, Makrele, Seeteufel und Sardine sind ausgeräumt. Hunderte von Schiffen machen jetzt Jagd auf die letzten Schwärme des weißen Thun, genannt Bonito.

Fisch, von Umweltpolitikern einst als ultimative Nahrungsreserve für eine vom Hunger bedrohte Mensch­heit besungen, ist mittler­weile knapp und weltweit teuer geworden. Für einen 100 Kilo schweren roten Thun zahlen Japaner bis zu 10.000 Dollar. Bedeutende Fischschwärme finden sich immer seltener. Die japanische Fischindustrie ist deshalb schon vor einiger Zeit dazu übergegangen, auf hoher See Treibnetze von bis zu 50 Kilometern Länge auszulegen, in denen alles hängenbleibt und verendet, was sich auf See bewegt. Die Schiffe fahren nur noch die ausgelegten Netze ab, sammeln die Speisefische ein und befreien die Netze von all den Tieren und Tierleichen, die nicht verwertet werden: Haie, Delphine, Schildkröten, Seevögel sowie viele Fisch­arten, die nicht auf Japans Speisezetteln stehen. Haifisch­flossen­suppe dagegen ist, nicht nur in Japan, eine begehrte Spezialität. Den Haien, von denen viele Arten akut vom Aussterben bedroht sind, werden deshalb bei lebendigem Leib die Flossen abgeschnitten. Die tödlich verletzten Tiere wandern zu Tausenden über Bord.

Aber auch im Atlantik wird krimineller Raubbau getrieben. Die größten Schleppnetze haben eine Öffnung, in die man 14 Jumbo-Jets stellen könnte. Sie säubern das Meer auf einer Breite von 140 Metern und bis in eine Tiefe von 60 Metern radikal von allem, was sich bewegt. Die Länge der Treibnetze ist zwar von der Europäischen Union auf 2,5 Kilometer limitiert worden. Aber es gibt keine Kontrollen. Das längste bisher gefundene Treibnetz hat eine Länge von 100 Kilometern. Die vom Aussterben bedrohten Delphine gehen zu Tausenden zugrunde. Da sie geschützt sind und nicht gefangen werden dürfen, schlitzen ihnen die Fischer die Bäuche auf, damit sie schnell absinken.

Insgesamt werden heute pro Jahr noch 78 Millionen Tonnen Fisch aus dem Meer geholt. Das ist nicht mehr allzuviel. Um so perfekter ist der Overkill organisiert. 13 Millionen Menschen sind weltweit im Einsatz. Die eine Hälfte der Fangerträge teilen sich insgesamt 12 Millionen traditioneller Fischer mit teils einfachen, teils auf höchstem technischen Niveau ausgestatteten Kuttern und Trawlern. Die andere Hälfte geht auf das Konto von 37.000 industriell betriebenen Kühlschiffen mit einer Gesamtbelegschaft von rund einer Million Arbeitern und Angestellten — Zerstörer und Kanonenboote des gelegentlich notwendigen Begleitschutzes nicht mitgerechnet. Allein im pazifischen Ozean sind insgesamt 24.000 Kilometer Treibnetze ausgelegt — etwas mehr als die Hälfte des Erdumfangs. Petri Heil!

Zusammenfassend kann man nur feststellen: Die Rechnung geht ganz einfach nicht mehr auf. 

Die Zahlen und Fakten bezüglich unserer biologischen Lebens­grundlagen sprechen eine deutliche Sprache. Wir sind auf dem besten Wege, uns selbst auszurotten. Und da das einzige, was dagegen unternommen wird, darin besteht, die eine oder andere Zahl als wissenschaftlich nicht genügend gesichert anzuzweifeln, werden wir auf diesem Weg unbeirrt weiter­marschieren.

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