Robert Stolz

Herbert Gruhl und
Die-Grünen heute

 

Zuerst als Vortrag im November 2022
auf einer Tagung der "Zeitgeschichtliche
Forschungsstelle Ingolstadt"

wikipe Zeitgeschichtliche Forschungsstelle Ingolstadt 
wikipedia: "Geschichtsrevisionistischer Verein"

Vortrag 2022 in PDF / 17 Seiten 

wikipedia Stolz 
*1949 an der Ruhr,
Gründungsmitglied
der Grünen,
vorher SDS

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detopia

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Start Gruhl


Gruhl-1987 Memo

detopia-2024

Im Vortrag stehen Sätze drinn, wie: "... und die Propaganda für Asylrechtsmißbrauch und Zuwandererinvasionen zeigen, welche Konsequenzen eine Überbetonung oder sogar Verabsolutierung innergesellschaftlicher und weltumspannender Gerechtigkeit haben." Diese Formulierung von Stolz schmerzt. (Auch, wenn richtig.)  Ebenso bemängele ich bei Gruhl, was hier Stolz aber positiv zitiert, nämlich eine flapsige Sprache, sowas wie: "beliebteste Verkaufsschlager des Marxismus". (Vermutlich würde ich die Sache voll unterschreiben, aber bei Reklamesprache weiß ich nicht, was ich unterschreibe.) - Ansonsten gibt der Autor Stolz einen wichtiger Zeitzeugenbericht. Hier eine Mischung aus beiden Vorlagen. Bei Kempf gekürzt, aber bei mir länger aus dem Original.

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1-17 bzw. 35-43

Der Denker

Ein Jahrhundert nach seiner Geburt am 22. Oktober 1921 wird Herbert Gruhl von den real existierenden GRÜNEN unserer Zwanziger Jahre aussortiert aus der Geschichte ihrer Partei in das Nirgendwo einer grauen Vorzeit – als hätte es ihn nie gegeben.

Obwohl man mit Fug und Recht die Frage stellen kann, ob es ohne Gruhl die GRÜNEN überhaupt gegeben hätte, wird er gefissentlich ignoriert oder von denen, die wie Winfried Kretschmann bei Gelegenheit mit dem wertkonservativen Fähnchen wedeln, instrumentalisiert als toter und damit historisch erledigter Kronzeuge.

Häufg wird dem gelernten Landwirt und über Hugo von Hofmannsthal promovierten Germanisten Gruhl, der auch Geschichte und Philosophie studiert hatte, vorgeworfen, er sei lediglich ein naturwissenschaftlich unqualifzierter Prediger des Weltuntergangs gewesen. Völlig zu Recht betonte Gruhl – umfassend gebildet und das genaue Gegenteil eines Fachidioten – demgegenüber, er gehöre zu den „nüchternen Rechnern, die das Denken noch nicht den Fachleuten überlassen haben,"* aber man stehe in einem „erbitterten Ringen" mit denen, die mittels ihrer Geldmacht und der Medien die Dummheit und das Unwissen ausnutzten.

  • Ein Planet wird geplündert", Vorwort-TBA-1978

Er kritisierte nicht zuletzt die Untätigkeit und Sorglosigkeit der staatlichen Instanzen, die – gefangen in der Gegenwart und die Zeitdimension ignorierend – die Zukunftsvorsorge vernachlässigen. Er beginnt das Vorwort seines zweiten Buches <Das irdische Gleichgewicht. Ökologie unseres Daseins> (1982) mit der Feststellung:

„In meinem ersten Buch habe ich versucht, die Welt darzustellen, wie sie ist, nicht wie sie den herrschenden Vorstellungen zufolge sein sollte. In diesem Buch versuche ich darüber hinaus, das Wesen des Menschen in seiner Umwelt zu ergründen – ebenfalls so wie es ist, nicht wie viele es gern hätten. Mit dem Ergebnis werden weder die vorbehaltlosen Verteidiger bestehender Verhältnisse noch die zahlreichen Weltverbesserer zufrieden sein."

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Im Vorwort zur Taschenbuchausgabe von <Ein Planet wird geplündert> schrieb Herbert Gruhl 1978, sein zuerst 1975 erschienenes Buch sei zu einem „Handbuch für eine neue Richtung in unserem Lande geworden". Angesichts einer verkauften Aufage von schließlich über 400.000 Exemplaren war das nicht übertrieben. Zugleich wies Gruhl alle Versuche zurück, seinen politisch-philosophischen Ansatz „verniedlichend zu reduzieren" auf simplen Umweltschutz – gerade so, als ginge es um einen Einzelsektor und nicht global um die Überlebensprobleme der Menschheit. Von ähnlich zentraler Bedeutung für sein Denken ist sein 1992, ein Jahr vor seinem Tod, erschienenes letztes Buch "Himmelfahrt ins Nichts – Der geplünderte Planet" vor dem Ende.

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Seine Skepsis und sein Pessimismus nähren sich dabei aus einer bitteren Erfahrung, die er schon in den siebziger Jahren ausdrückte: „Größere Massen sind außerstande, künftige Entwicklungen geistig zu erfassen und erst recht nicht bereit, daraus konkrete Schlußfolgerungen für ihr gegenwärtiges Leben zu ziehen."

Die gegenwärtige gesellschaftliche Großwetterlage beweist diese Einsicht nachdrücklich. Ganz zu Recht sah Herbert Gruhl Freiheit und Gerechtigkeit als „Gegensatzpaar", „da die Summe beider niemals wächst, sondern nur die eine auf Kosten der anderen". Die desaströse, demotivierende und demoralisierende Sozialpolitik der letzten Jahrzehnte und die Propaganda für Asylrechtsmißbrauch und Zuwandererinvasionen zeigen, welche Konsequenzen eine Überbetonung oder sogar Verabsolutierung innergesellschaftlicher und weltumspannender Gerechtigkeit haben.

Zu Recht argumentiert Herbert Gruhl gegen einen primitiven mechanisch-konsumistischen Materialismus, dem „Wohlstand, Fortschritt und Gleichheit noch bei weitem nicht schnell genug vor-angeschritten" scheinen und der mit der „Theorie von der Gleichheit aller Menschen" immer wieder einen der „beliebtesten Verkaufsschlager des Marxismus" wiederholt und variiert. Sein eigener Ansatz der „organischen Weltanschauung" ist gerade nicht der eines Idealisten, der notwendig stets zugleich Ideologe ist, also das politische Wunschkonzert instrumentiert, Utopien als Zielprogrammatik entwirft und von dogmatisierten Imperativen ausgeht. Dies hatte auch die antiautoritäre Studentenbewegung der außerparlamentarischen Opposition 1967/68 und deren Zerfallsprodukte geprägt.

Sie hatten ganz im Gegensatz zur Orientierung der späteren Umweltbewegung auf Bewahren und Verzicht das vergiftete Erbe der Aufklärung und der seit 1789 aufgetretenen Revolutionsbewegungen übernommen, die die Illusion des gleichzeitigen Anwachsens von Freiheit und Gerechtigkeit, von Wirtschaftsliberalismus und sozialistischem Egalitarismus proklamierten.

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Ganz im Gegensatz dazu ist Herbert Gruhl im allerbesten Sinn Materialist, der die Materie als den primären mütterlichen Seinsgrund begreift und die realen Gesetze der realen Ökosphäre zu ergründen sucht, ohne deshalb die spirituellen und religiösen Kräfte abzuleugnen. Sehr nüchtern konstatiert er: „Die Natur erzwingt die disziplinierte Einhaltung ihrer Gesetze. Wenn in der freien Wildbahn ein Tier die ungeschriebenen Gesetze des Rudels durchbricht und seinen eigenen Weg geht, bezahlt es diese Eigenmächtigkeit in der Regel mit dem Tode in der Wildnis." Daher lehnt er auch die etablierte Konzeption ab, die die berechtigte Kritik an einer unproduktiven Planwirtschaft dazu benutzt, um – auch darin unbewußt idealistisch – als angeblichen Ausweg eine irrationale Planlosigkeit zu predigen und sagt ironisch: „Bauen wir doch planlos Atomkraftwerke, Straßen, Wohnungen, Autos, Flugplätze, Kanäle – für das Weitere wird dann schon der Himmel sorgen."

Die gegenwärtig in den GRÜNEN und ihrem Umfeld dominierende Hauptströmung hat sich längst der kapitalistischen Wachstumslogik unterworfen. Dazu predigt sie eine pseudoreligiös-irrationale „Klimarettung" und versucht, mit dem Fridays-for-irgendwas-Brimborium ihre Selbstaufgabe zu kaschieren.

Im Gegensatz dazu bestand Herbert Gruhl zu Recht auf einer grundsätzlichen Absage an die totalitäre Ideologie des ständigen wirtschaftlichen Wachstums, um endlich den „totalen Krieg gegen die Erde" zu beenden. Seine strikte Orientierung an den vorgegebenen Gesetzmäßigkeiten steht in diametralem Widerspruch zu dem utopischen Voluntarismus {alles durch Willenskraft;deto} der heute maßgeblichen Grünen, die für Windräder an Land ein völlig überzogenes, rein quantitativ orientiertes Zwei-Prozent-Planziel vorgeben, bei dem der Artenschutz und vor allem die Vogelwelt buchstäblich auf der Strecke bleiben.

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Herbert Gruhl beschreibt die Bedrohung der Welt unter dem Vorzeichen eines umfassenden Ansatzes. Während die Habeck, Özdemir, Roth usw. für die blinde Zerstörung des gewachsenen nationalen und kontinentalen Kulturraums und seine Transformation in eine entgrenzte multikulturelle Barbarei plädieren, kritisiert Gruhl mit Martin Heidegger grundsätzlich „die Verdüsterung der Welt, die Flucht der Götter, die Zerstörung der Erde, die Vermassung des Menschen" und den „hassenden Verdacht gegen alles Schöpferische und Freie."4

Ganz zu Recht sieht er diejenigen, die diese Katastrophe geistig durchdringen und tief durchleben ebenso als jenseits der alten Kategorien von Optimismus und Pessimismus, wie er schon 1978 sich sicher war, daß die „gegenwärtige humanistische Protest-bewegung" den „Gegensatz zwischen den alten Fronten bald völlig überlagern wird."5 Allerdings triumphieren gegenwärtig einerseits die glücks- und fortschrittsbesessenen Schönredner und andererseits die apokalypsesüchtigen Schwarzmaler, wobei beide aus ihren ermüdenden Schaukämpfen ihre Existenzberechtigung ableiten, während sie gleichzeitig den ewigen ergebnislosen Streit zwischen Links- und Rechtsideologen immer wieder neu befeuern und mit einer kollektivistischen Front der selbsternannten „demokratischen Parteien" die ernsthaften Freidenker als „Verfassungsfeinde", „Nazis" usw. usw. zum Schweigen zu bringen versuchen.

  • 4  Himmelfahrt ins Nichts.", S. 13.

  • 5  Ein Planet wird geplündert", Vorwort-TBA-1978, S. 10.

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Herbert Gruhl war kein Nihilist, der wie die Schopenhauer nachfolgenden Verherrlicher des Todes, des Nichts und einer menschenfreien Erde (Philipp Mainländer, Ulrich Horstmann usw.) „im Absterben der Menschheit das Heil und Ziel des Willens sehen"6 wollte. Mit H. G. Wells glaubte Gruhl, der Mensch werde „um das Leben kämpfend sterben".

Andererseits war er sich sicher, daß auf die längere Sicht der Mensch, gerade weil er zu tüchtig und zu rücksichtslos wirtschafte, die Grundlagen seiner eigenen Existenz zerstören werde. Er sah es als „gesichertes Wissen … daß wir den Kampf verlieren werden."7 Sein Fazit ist: „Die Europäische Kultur, über die hinaus keine Steigerung mehr möglich ist – wie schon über die Griechische nicht, mit Ausnahme unserer grandiosen und tödlichen Supertechnik – ist die letzte dieses Planeten."8

Man kann über diese (be)streitbare Aufassung streiten und muß aber dann die Fakten, die Herbert Gruhl anführt, um seine Argumentation zu begründen, diskutieren: die technische Kultur als „grandioser Irrtum", die Atom­kriegsgefahr, die schleichende radioaktive und chemische Verseuchung der Natur, das Artensterben, der kapitalistische und der sozialistische Wachstumswahn. Für ihn ist die Tragik in der Entwicklung der Menschheit „die direkte Folge der Größe des Menschen oder seines edlen Wahns."9

Selbst der ehemalige FDP-Politiker Ralf Dahrendorf wurde wenige Jahre nach Gruhls Tod noch nachdenklich über die Faktenlage und die wirkungslos verhallenden wissenschaftlichen Prognosen. Er ließ die Frage zumindest offen: „Werden in absehbarer Zeit Menschen eine der Arten auf der Todesliste sein?"10 Späte Einsichten sind das, die deutlich machen, zu einfach sollte man es sich mit Gruhl nicht machen.

  • 6  Nietzsche „Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden", München 1980, Bd. 7, S. 162.

  • 7  Himmelfahrt ins Nichts.", 1992, S. 387.

  • 8  Ebd.

  • 9  Ebd., S. 379.

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Der Politiker

Herbert Gruhl begegnete ich zuerst im Spätherbst 1979 in Bonn. Ich war als Aktivist der Kölner Vor-Grünen, vor allem aber als Vertreter der Bunten Listen in NRW, in die Bundesprogrammkommission entsandt worden, die das im März 1980 in Saarbrücken verabschiedete „Saarbrücker Programm" ausarbeitete. Rudi Dutschkes Einfuß trug dazu bei, daß ich mich 1967 dem SDS anschloß und ihm bis zur Selbstaufösung angehörte. Dutschke hatte 1979 für die zur Europa-Wahl angetretene SPV („Sonstige Politische Vereinigung") DIE GRÜNEN als programmatische und strategische Maxime ausgegeben, sie sollte Menschen „von Gruhl bis Dutschke" sammeln, also von der demokratischen Rechten bis zur demokratischen Linken.

Herbert Gruhl, der Dutschke zunächst abwartend bis ablehnend gegenüberstand, ihn aber nach ihren ersten Gesprächen menschlich und politisch wertschätzte, hatte dieser Konzeption ausdrücklich zugestimmt. Mit Rudi Dutschke verband ihn ein intensiver Gedankenaustausch und wechselseitiger persönlicher Respekt. Insofern war der Tod Dutschkes am 24.12.1979 eine politisch folgenreiche Tragödie, weil dadurch ein entscheidender Pfeiler für die Bündniskonstruktion der sich gründenden Partei wegbrach.

Hinzu kam, daß Gruhl zwar dem im März 1979 gewählten Bundesvorstand der SPV als einer der drei Sprecher neben August Haußleiter (AUD, 1905-1989) und Helmut Neddermeyer (GLU,*1938) angehörte und am 12. Januar 1980 die Gründungsversammlung der neuen Partei in Karlsruhe mit einer Rede eröfnete, aber nicht dem in Saarbrücken im März 1980 gewählten ersten Bundesvorstand der GRÜNEN, in den ich als Schriftführer gewählt wurde.

  • 10  Dahrendorf: Die Wiederkehr der Geschichte. Vom Fall der Mauer zum Krieg im Irak. München 2004, S. 235-250: „Der Blick voran: Chancen und Risiken der Globalisierung" (1999), hier S. 237.

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Wenn er dort neben August Haußleiter und Petra Kelly (1947-1992) an der Stelle des ökoliberalen Familienrichters Norbert Mann (*1943, 1997 zur FDP gewechselt) in das dreiköpfge Sprechergremium gewählt worden wäre, wäre ein anderer Gang der Dinge denkbar gewesen. Allerdings ist bekanntlich der Irrealis in der Einschätzung geschichtlicher Entwicklungen wenig hilfreich.

Michael Vesper (*1952), zunächst bis 2006 Politik-Funktionär (Landessprecher, Fraktionsgeschäftsführer, Landesminister NRW), danach Sportfunktionär und Sportwettenlobbyist, beschrieb durchaus zutrefend die Ausgangs­beding­ungen der GRÜNEN: „An der Wiege standen die unglücklichen Eltern: zum einen Helmut Schmidt, ohne dessen Politik es die Grünen wohl nicht gegeben hätte, und zum anderen die Fünf-Prozent-Hürde, ohne die so viele verschiedene Gruppen sich wohl nicht unter ein Dach zusammengezwängt hätten."

Herbert Gruhl wurde zuerst 1969 als Bundestagsabgeordneter der CDU gewählt. 1970 wurde er Sprecher der Fraktion in Umweltfragen, 1972 wurde er Vorsitzender der CDU-Arbeitsgruppe für Umweltvorsorge. Von 1975 bis 1977 war er Bundesvorsitzender des damals gerade erst gegründeten Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND). Obwohl er mit großer Mehrheit 1976 wieder in den Bundestag gewählt wurde, entzog ihm die Partei auf Veranlassung von Helmut Kohl seine Funktion als Verantwortlicher für Umweltpolitik.

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Nach seinem Austritt aus der CDU am 12. Juli 1978, auf den einen Tag später die Gründung der Grünen Aktion Zukunft (GAZ), der ersten deutschen Umweltorganisation, folgte, gehörte er noch bis 1980 dem Bundestag an. Am 17. und 18. März 1979 gründete sich dann aus einem breit gefächerten Kreis von Bürgerinitiativen, Aktionsgruppen und Kleinparteien – beteiligt waren u. a. die Grüne Liste Umweltschutz (GLU) und die Arbeits­gemeinschaft Unabhängiger Deutscher (AUD) – die "Sonstige Politische Vereinigung"(SPV) Die GRÜNEN, die im Juni mit 3,2 % an den Europawahlen teilnahm, aber an der damals für diese noch existierenden 5%-Klausel scheiterte.

Auf der Bundesversammlung am 12. und 13. Januar 1980 wurden DIE GRÜNEN in Karlsruhe gegründet. Die GRÜNEN verstanden sich damals nicht als Partei, sondern als Bewegung mit einem parlamentarischen zweiten Spielbein. Verabschiedet wurde in Karlsruhe die Satzung. Umstritten war die Teilnahme von Delegierten der Bunten Listen. Die von Herbert Gruhl vertretene ökologisch-konservative Richtung konnte es dabei durchaus als Erfolg sehen, daß es bei der vor allem am zweiten Tag von einem völligen Scheitern bedrohten Bundesversammlung gelang, die Satzung mit ihrem Verbot der Doppelmitgliedschaft in den GRÜNEN und einer anderen Partei bzw. parteiähnlichen Organisation durchzusetzen. Die sich um Personen wie den Hamburger Henning Venske (*1939) und den Frankfurter Altsozialisten Alexander Schubart (1931-2016) scharenden Anhänger bunter und alternativer Listen unterlagen trotz Unterstützung durch den gerade erst beigetretenen Rudolf Bahro (1935-1997) deutlich. Als § 2 der Satzung wurde verabschiedet: „Mitglied der Partei kann jeder werden, der sich zu den Grundsätzen der Partei und ihrem Programm bekennt und keiner anderen Partei angehört." Die Diskussion des Programms und die Wahl eines Vorstandes wurden auf die nächste Bundesversammlung vertagt, die im März 1980 in Saarbrücken stattfand.

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Bis dahin wurde der bisherige Vorstand der „SPV Die Grünen" in seinem Amt bestätigt und das Europawahlprogramm zur Arbeitsgrundlage gemacht. Von den über tausend an der Basis gewählten Delegierten waren am späten Nachmittag des 13. Januar 1980 noch 875 anwesend. Bei zwölf Enthaltungen stimmten lediglich 53 nicht der Parteigründung zu, die anschließend mit dem Sprechchor „Weg mit dem Atomprogramm" gefeiert wurde.

Herbert Gruhl hatte einen gewissen Einfuß in den GRÜNEN, der aber nur begrenzt über den Kreis der später zur ÖDP Gewechselten hinausreichte. Typisch dafür ist, daß er schon bei der Gründungsversammlung zunächst um 14:20 Uhr knapp mit seinem Antrag unterlag, sofort nach Verabschiedung der Satzung die Partei zu gründen, das Europawahlprogramm provisorisch noch zwei Monate gelten und den SPV-Vorstand so lange im Amt zu lassen. Zwei Stunden später wurde genau dies mit Mehrheit abgenommen. Diese GRÜNEN zu führen glich in der Tat einem Ritt auf dem Tiger – und genau dies entsprach nicht dem Persönlichkeitsprofl Herbert Gruhls, der weder ein rafnierter Netzwerker noch ein dominanter Volkstribun war.

Andererseits scheiterten im ersten Jahrzehnt der GRÜNEN durchgängig die verschiedensten hochbegabten Politiker: die grandiose Petra Kelly, die damals noch nicht in Verbitterung und sektiererischen Haßorgien befangene Jutta Ditfurth, der aus jahrzehntelanger Kampferfahrung schöpfende Medienprof August Haußleiter.

Die Bundesversammlung in Saarbrücken am 22./23. März 1980 wählte August Haußleiter, Petra Kelly und Norbert Mann zu Parteisprechern, Rolf Stolz zum Schriftführer und Grete Thomas zur Schatzmeisterin.

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Die vier Säulen „sozial, ökologisch, basisdemokratisch und gewaltfrei" aus dem Europawahlprogramm der SPV Die GRÜNEN bildeten die Grundlage des verabschiedeten Saarbrücker Programms, das u.a. die Forderung nach Stillegung aller Atomanlagen, einseitiger Abrüstung, der Abschafung der Militärblöcke NATO und Warschauer Pakt und des 218 StGB enthielt und für die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich eintrat.

Die Entscheidung für diese Programmatik wurde von dem konservativen Flügel als Niederlage empfunden.

Bei der Landtagswahl in Baden- Württemberg am 16. März 1980 erreichten die GRÜNEN mit 5,3 % den ersten Einzug in einen Landtag. Bei den Landtagswahlen in NRW am 11. Mai 1980 scheiterten sie allerdings mit 3 % an der 5-Prozent-Hürde. Spitzenkandidaten waren der Landwirt Anton Maas, der gegen den Bau des Schnellen Brüters in Kalkar geklagt hatte, und die Feministin Anne Neugebauer. Am 9. Oktober 1980 schlug mit 1,5 % der Zweitstimmen die erste Teilnahme an einer Bundestagswahl fehl. Etliche Sympathisanten der GRÜNEN aus dem eher linken Spektrum hatten die SPD als „Kleineres Übel" gewählt, um Franz Josef Strauß zu verhindern. Andererseits zog bei den Wahlen in Berlin am 10. Mai 1981 die Alternative Liste (AL) mit 7,2 Prozent der Stimmen ins Abgeordnetenhaus ein und verdrängte die FDP vom dritten Platz. 1982 erreichten die GRÜNEN bei der Landtagswahl in Hessen bereits 8,6 % der Stimmen. Gestärkt durch die Beteiligung an verschiedenen friedenspolitischen Großdemonstrationen zogen die GRÜNEN 1983 mit 5,6 Prozent zum ersten Mal in den Bundestag ein.

Bei der Bundesversammlung in Dortmund am 21. und 22. Juni 1980 trat August Haußleiter nach Kritik an seiner zu patriotischen Haltung, die als „Blut-und-Boden Grüne" diffamiert wurde, als Parteisprecher zurück. Die Schatzmeisterin Grete Thomas wurde abgewählt. Weitere Vorstandsmitglieder wurden:

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Christiane Schnappertz (Essen), Bettina Hoeltje (Hamburg,*1948), Helmut Lippelt (Niedersachsen, 1932-2018), Halo Saibold (Passau,*1943), Ursula Alverdes (Rheinbach) und Erich Knapp (Sankt Augustin). Schatzmeisterin wurde Eva Reichelt (Berlin). Damit war der Gründungsprozess mit der Wahl eines vollständigen Bundesvorstandes abgeschlossen.

Daß nach Haußleiters von den antifantischen {detopia: Was ist das?} Hetzern des <Spiegel> heraufbeschworener Rücktrittsrede viele Delegierte Tränen in den Augen hatten, war nur ein schwacher Trost. Dieser von einigen Strippenziehern im Hintergrund erzwungene Rücktritt war als Erfolgserlebnis eine fatale Verstärkung für die Aspirationen der diversen inner- und außerparteilichen Heckenschützen.

Andererseits wurde der Parteitag so gezwungen, für die Nachfolge eine Entscheidung zu trefen zwischen Herbert Gruhl und Dieter Burgmann (*1939). Als Nachfolger von Haußleiter setzte sich Dieter Burgmann gegen Herbert Gruhl und Otto Schily (*1932), der im letzten Wahlgang Burgmann unterstützte, durch.

Herbert Gruhl symbolisierte Prominenz, politische Erfahrung, ein klares ökologisches Profil. Was mich betraf, so fühlte ich mich August Haußleiter politisch eng verbunden, der mir vertraute und mich als Redakteur seiner Wochenzeitung „Die Grünen"/„Die Unabhängigen" gewinnen wollte. Auf diesem Hintergrund favorisierte ich den aus der AUD kommenden Nürnberger Ingenieur und Betriebsrat Dieter Burgmann.

Meine Fehleinschätzung war, daß er der Partei starke Impulse geben werde, um Gewerkschafter und andere Lohnabhängige für die GRÜNEN zu gewinnen und daß Herbert Gruhl bereit sein werde, als Beisitzer für den Bundes­vorstand zu kandidieren. Dieter Burgmann erwies sich als ehrenwerter, aber eher schwacher und farbloser Sprecher. Er amtierte bis November 1982, war von 1983 bis 1985 Bundestagsabgeordneter und verließ 1999 wegen des Kosovo-Kriegs die GRÜNEN. Jedenfalls handelt es sich bei diesen Dingen um zu spät kommende Einsichten und um Klagen über verschüttete Milch.

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Herbert Gruhl zog sich aus Enttäuschung und Frustration schon in Dortmund aus den Debatten zurück. Seine Trennung von den GRÜNEN begann im Grunde aber bereits nach Rudi Dutschkes Tod im Dezember 1979, über den er sagte: „Eines der unglücklichen Ereignisse, durch welche die Entwicklung der Partei Die Grünen in Bahnen geriet, die nicht mehr die meinen und der Mitglieder der Grünen Aktion Zukunft sein konnten".

Während AUD und GLU sich im Laufe des Jahres 1980 weitgehend aufösten, blieb der organisatorische Zusammenhang der GAZ erhalten. Am 2. März 1980 gründete die GAZ zusammen mit der Grünen Liste Schleswig-Holstein und der vor wenigen Monaten in die Bürgerschaft gewählten Bremer Grünen Liste um Olaf Dinné (*1935) die Arbeitsgemeinschaft ökologische Politik bei den Grünen (AGÖP) als Gegengewicht zum linken Flügel. Am 16. Juli 1980 wurde daraus die Organisation Grüne Föderation, die sich im Oktober in Ökologische Föderation umbenannte.

Als Herbert Gruhl am 18. Januar 1981, also ein Dreivierteljahr vor der nächsten Bundesversammlung der GRÜNEN in Offenbach, aus den GRÜNEN austrat, folgte ihm ein Drittel der damaligen Mitgliedschaft, und die Ökologische Föderation trennte sich endgültig von der Partei. Der spätere Bundestagsabgeordnete Jürgen Reents (1949-2022), 1991 zur PDS gewechselt, von 1999 bis 2012 Chefredakteur des „Neuen Deutschlands", resümierte - im üblichen Wunschdenken befangen - die GRÜNEN entwickelten sich als „Alternative links der SPD".

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1982 gründete sich die oberhalb der kommunalen Ebene abgesehen von einem Abgeordneten im Europaparlament (seit 2014, bestes Ergebnis 2019 mit einem Prozent und einem Abgeordneten) erfolglose Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP), deren Vorsitzender Herbert Gruhl bis zum Saarbrücker Parteitag im Februar 1989 blieb. In dieser Endphase der Rheinischen Republik hatten sich an der Parteibasis der ÖDP staatlich frankierte Sektierer und Quertreiber durchgesetzt, die mit einem von neunzig Prozent der Delegierten unterstützten „Grundsatzbeschluß zur Abgrenzung der ÖDP von den Rechtsparteien", mit Westextremismus und BRD-Separatismus eine massive Abgrenzung vom Nationalbewußtsein, der Selbstbestimmung aller Deutschen und dem Ziel der Wiedervereinigung verbanden. Nach Verlassen der ÖDP am 14. Dezember 1990 gründete Gruhl mit wenigen Getreuen den Arbeitskreis Ökologische Politik, der 1991 in den bis 2001 bestehenden Unabhängigen Ökologen Deutschlands (UÖD) aufging.

 

Verhängnis und Verhältnisse

 

In der Programmkommission war das Verhältnis zwischen Herbert Gruhl und mir höfich-distanziert. Mir war bewußt, daß auch er vieles von dem, was ich an der CDU seit langem verabscheute, kritisch sah: die Ignoranz gegenüber den Umweltbedrohungen, die Korruption durch Parteispenden als „Landschaftspflege" der Großlobbyisten, die Forcierung der Atomenergie, die Aufrüstung mit immer neuen Vernichtungswafen wie der Neutronenbombe. Andererseits standen da noch viele Vorbehalte aus den siebziger Jahren im Raume – aus der Zeit, als ich mit meinen Genossen der Vereinigten Linken (VL), einer unabhängigen rätesozialistischen Organisation, einen gründlich gescheiterten Mehrfrontenkrieg gegen die etablierten Parteien wie auch gegen DKP & Co. führte.

In den GRÜNEN stießen Welten aufeinander. Aber es gab eine große Offenheit und Bereitschaft zu einem gemeinsamen Aufbruch in der Suche nach Alternativen für alle.

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Die Abgrenzungshysterie und die auf Vernichtung der Gegner orientierte Streitsucht, die für die heutige politische Szene so typisch ist, war damals eher die Ausnahme bzw. beschränkte sich auf randständige Sekten.

Die damalige Linke war bei allen dogmatischen Verirrungen trotz allem sehr viel rationaler und geerdeter als der heutige Sumpf aus schulschwänzenden Hypersensibelchen, gemütskranken Pubertierenden und Klimahysterikern. Obwohl die Anführer von SPD und DKP ihren Mitgliedern jeden Kontakt mit Unsereinem verboten hatten, arbeiteten wir insgeheim mit ihren Mitgliedern genauso wie mit anderen Arbeitern und Angestellten aus den Betrieben zusammen, diskutierten, gaben mit ihren Informationen Flugblätter und Zeitungen heraus. So behielten wir den Kontakt mit den Menschen und der Wirklichkeit – ganz anders als die heutigen selbsternannten Linken in ihrer trüben Blase aus narzißtischer Anbetung der queeren Minderheitchen, aus Selbsthaß und Haß auf Traditionen und auf das eigene Volk, aus Zerstörungssucht und Überlegenheitswahn.

In der schwierigen, aber chancenreichen Situation am Anfang der Achtziger Jahre wären überragende Politiker erforderlich gewesen, die das hoffnungsvolle, aber zunächst kleine und bedrohte Schifflein der GRÜNEN durch die anbrandende See steuerten. Denn vom Block der Altparteien wurde die neue Konkurrenz mit ähnlich schäumender Wut attackiert, wie es die AFD seit 2013 erlebt. Nun hatten die frühen GRÜNEN unter ihren bekannten Köpfen mehrere großartige Menschen: Rudi Dutschke, die visionäre Aktivistin Petra Kelly, den erfahrenen Organisator und Pressemann August Haußleiter, den Gesellschaftsreformer und revolutionären Künstler Josef Beuys (1921-1986) und nicht zuletzt Herbert Gruhl.

Rudi Dutschke starb noch vor Gründung der GRÜNEN, August Haußleiter wurde im Sommer 1980 durch eine infame SPIEGEL-Kampagne zum Rücktritt aufgefordert, obwohl der Wissenschaftler Jan Kuhnert (*1951) – später mit Jutta Ditfurth 1991 Mitglied der Kleinpartei „Ökologische Linke" – nach gründlicher Untersuchung die Vorwürfe widerlegen konnte. Josef Beuys wurde von intriganten Kirchturmpolitikern in NRW an den Rand gedrängt und zog sich aus der politischen Arbeit zurück. Petra Kelly wurde in den späten achtziger Jahren Schritt für Schritt zur einfußlosen Unperson gemacht, um nach ihrem Tode von den fröhlichen Erben als Säulenheilige mißbraucht zu werden.

Auch Herbert Gruhl war konfrontiert mit innerparteilichen Gegnern – etwas, was zur Normalität aller Parteien gehört. Allerdings war er im Grunde kein Politiker, sondern zuallererst ein sensibler Denker und Analytiker. Seine Niederlage in Dortmund ließ spätestens jetzt die Grenzen des Politikers Herbert Gruhl deutlich erkennen. Statt die Gründe zu analysieren, statt den Kampf mit dem Versuch, neue Mehrheiten zu erreichen, fortzusetzen, warf Herbert Gruhl das Handtuch.

Wenngleich er als Politiker scheiterte, lebenslänglich verleumdet und von manchen als Fußnote der Zeitgeschichte abgebucht und vergessen wurde: Herbert Gruhls Gedanken bleiben eine zentrale Anregung für jeden, der nach Auswegen aus den weltweiten Krisen sucht – gerade dort, wo er provoziert und Widerspruch herausfordert, so etwa mit dem von linken Sozialfürsorgern als herzlos und unsolidarisch skandalisierten Zitat:

„Das ›soziale Netz‹ fängt auch noch den auf, der seine Lage selbst verschuldet hat. Darin liegt die große Verführung; alle wiegen sich in einer Sicherheit, die ganz und gar unnatürlich ist (…) Die Natur erzwingt die disziplinierte Einhaltung ihrer Gesetze."  („Jungle World", 21. 5. 2003.)

Wer immer nur gemütlich mitlaufen will, wird Herbert Gruhl ohnehin ignorieren oder ihn attackieren. Wer aber selbsttätig denken und handeln will, der wird an ihm einen Leitstern in dunklen Zeiten finden.

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Ende

 

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