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10  Stufen der Transformation  

 

 

 

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Wir lösen in der Feeling-Therapie keine Probleme. Viele unserer Patienten beginnen die Therapie in der Hoffnung, Lösungen zu finden, entdecken aber bald, daß sie zur Bewältigung ihrer Probleme eine voll­ständige Transformation durchmachen müssen.1) Ohne Transformation werden Patienten <gelöste Probleme> durch <neue Probleme> ersetzen.

Transformation ist dann gegeben, wenn jemand aus sämtlichen Gefühlen heraus lebt, die ihm zugänglich sind. Probleme bestehen deshalb, weil die Beziehung eines Patienten zum Leben in erster Linie von seinem Durch­einandersein bestimmt ist. Er schränkt Gefühle ein, verdeckt Gefühle und stößt Gefühle von sich weg — er erzeugt und lebt Probleme aus. Ein Problem ist ein nicht gefühltes und nicht zum Ausdruck gebrachtes Gefühl. Lebendig sein, heißt Gefühle zu haben. Somit sieht sich jemand entweder einem Leben voller Probleme oder einem Leben voller Transformation gegenüber.

Da viele Menschen in einer "anders" orientierten Kultur aufwachsen, entwickeln sie das Geschick, nicht gestörter zu sein oder nicht mehr zu fühlen als andere. Die Menschen lernen, wie sie normal sein können. Virginia, eine unserer Therapiebewerberinnen, schrieb:

Soweit ich zurückdenken kann, habe ich mich anzupassen versucht. Ich war ein ziemlich normales Kind. Es schien immer Kinder zu geben, die mehr "dabei" waren als ich, und andere, die mehr "draußen" waren. Selbst als ich die richtigen Freunde hatte, habe ich mich nie wirklich "dabei" gefühlt. In der Grundschule, in der Oberschule und im College habe ich versucht, irgendwie so zu sein, daß ich mit mir selbst zufrieden war. Ich hatte Angst vor Pickel, lautem Furzen, Körpergeruch, überhaupt vor allem, was hätte falsch sein können. Nun endlich spüre ich, daß sich in meinem Innern etwas regt. Ich möchte Therapie, um herauszufinden, was es ist. Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht. Ich glaube, die Feeling-Therapie kann mir helfen, damit anzufangen. 

Dieser kurze Ausschnitt des Bewerbungsschreibens offenbart sehr verbreitete Gefühle und Probleme. Diese Frau möchte mehr im Leben, aber sie ist in ihrer Normalität gefangen. Sie wird, um sich in ihre Gefühle und Verrücktheit hineinwagen zu können, aufhören müssen, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, welchen Eindruck sie auf andere macht. Sobald sie zu fühlen beginnt, werden Gefühle ihr Leben mit inneren Bedeutungen und wahrem Ausdruck überfluten. Wenn sie sich selbst findet und spürt, wie sie wirklich ist, werden ihre Probleme mit anderen Menschen abnehmen; stattdessen wird sie tiefere Gefühle für sich selbst haben.

In das Leben der meisten Patienten halten tiefere Gefühle dann Einzug, wenn sie, einmal nicht mehr von Problemen überschwemmt, beginnen, sie selbst sein zu wollen, wenn sie ihr Gefühlsniveau ausweiten und sich nicht länger mit bloßen Momenten gefühlter Realität zufriedengeben; sie fangen an, jeden Tag wirklich leben zu wollen. Sie beginnen, mehr von sich selbst und ihren Mitmenschen zu fordern.

Zwölf Monate nach ihrem Therapiebeginn schrieb Virginia in ihr Notizbuch:

Herzlichen Glückwunsch zu meinem Geburtstag — heute ist es ein Jahr her. Was ich am Anfang der Therapie vermutet hatte, was geschehen würde, ist nicht passiert. Jetzt habe ich zahlreiche Männerbekanntschaften — ich habe noch immer ein wenig Angst, doch ich fühle mehr und mehr, was ich alles möchte. Das ist ein angenehmes Gefühl für mich. Sex macht mir Spaß, und ich kann1 wirklich Spaß haben. Es macht mir nichts aus, zu furzen oder zu rülpsen oder zu schwitzen, wenn ich es muß, oder sonst irgendetwas ganz Natürliches zu tun. Die Männer mögen mich so wie ich bin — einfache, echte Dinge empfinden sie nicht als abstoßend. Mein Leben ist stärker und einfach. Alle meine komplizierten Gedanken verwandelten sich in Gefühle. Meine künstlerische Arbeit ist besser denn je, und ich glaube, ich kann wirklich bei einem Job bleiben.

Ich mache jetzt auch Co-Therapie, und das macht mir Angst. Wenn ich meinen Freunden helfe, steigen meine eigenen Gefühle in mir auf. Je mehr ich wachse, umso mehr fühle ich innerlich. Ich kann größer und kraftvoller sein als jemals zuvor. Es gelingt mir auch, mich immer mehr zu öffnen. Das ist überhaupt das Allerwichtigste gewesen. Ich merke, wie ich mich öffne und mehr von der Welt in mich hereinlasse — ich lasse meine Freunde immer näher an mich heran. Und ich bestehe darauf, daß meine Freunde mir gegenüber offener sind" Ich will nicht diese unechte Distanz zwischen uns. Ich spüre das Bedürfnis nach Nähe. Alles das will ich.  

 

Die Feeling-Therapie ist ein schwieriger Wachstumsprozeß, da wir nicht die Beschwerden der Patienten behandeln, sondern ihre sie durcheinander­bringenden Prozesse, die ihre Verrücktheit verursachen und auf­recht­erhalten. Das Individuum wird aufgefordert, sich innerlich in Einklang zu bringen; ein symbolisches Ausagieren der vermeintlichen Theorie oder des idealisierten Zustandes wird nicht belohnt. In der Feeling Therapie werden Endziele durch die Dynamik der Transformation ersetzt, in der das Individuum fortwährend seine Gefühle fühlt und sein Leben verändert.

Möglicherweise werden sehr viele Hoffnungen und Bedürfnisse auf die Vorstellung projiziert, daß bestimmte Verhaltensformen, etwa Entspannung, Katharsis, Meditation, oder bestimmte Psychotherapie­formen Veränder­ungen mit sich bringen werden.

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Häufig verbinden Patienten mit stundenlangem Meditieren die Hoffnung, daß sich, wenn sie damit "durch" seien, auf magische Weise etwas ändern werde. Vielleicht tritt aufgrund der Effektivität der jeweiligen Technik tatsächlich irgendeine ungewöhnliche Erfahrung auf, doch münden neuartige Erfahrungen nicht zwangs­läufig in Transformation. Wenn es keine therapeutische Gemeinschaft gibt, mit deren Hilfe die Erfahrung bestätigt werden kann, wird der Patient versuchen, seine Vorstellung von der Bedeutung dieser Erfahrung auszuleben. Da er innerlich verworren ist, wird er die Bedeutung seiner Erfahrung anhand veräußerlichter Lehren zu ordnen versuchen; er beginnt, in der Sprache der Therapie, der Religion oder der Politik zu reden und seine täglichen Erfahrungen aufzublähen, so daß sie etwas bedeuten, was über ihn selbst hinausgeht. 

Viele Menschen haben durchaus Erfahrungen, die zu Veränderungen führen könnten, wenn sie eine Gemeinschaft hätten, in der sie solche Erfahrungen ausleben könnten.

 

   Notwendige Bedingungen der Transformation  

 

Unsere Patienten sprechen keine Therapiesprache; sie nehmen an der therapeutischen Gemeinschaft teil und leben ihre Integration aus. Es gibt keinen Kult und keinen Verein für Feeling-Therapie-Patienten. Es gibt nur Patienten und Therapeuten, die fühlen und auf ihre Gefühle antworten; und schließlich gibt es einfach Menschen. Ohne kontinuierliche Therapie werden frühere Therapieerfahrungen zu Erinnerungen. Im Prinzip kann eine neue Vergangenheit geschaffen werden; wenn sich ein Patient an die neue oder alte Vergangenheit klammert, ist er noch nicht in der Lage, sich für sich selbst zu transformieren. Er lebt immer noch für einen anderen oder etwas anderes. Diejenigen Patienten, die schließlich das Wesen der Feeling Therapie erkennen, fühlen, daß sie nicht wegen Hilfe am Center sind, sondern um in der Umgebung von Menschen zu leben, die ihr Leben so intim wie möglich teilen wollen.

Der Transformationsprozeß wird dadurch eingeleitet, daß dem Patienten geholfen wird, seine Empfindungen, Bedeutungen und seinen Ausdruck in Einklang zu bringen. Um diese Komponenten stimmig zu machen und an den Transformationsstufen teilhaben zu können, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein:

1) Der Patient kann in bezug auf die Vergangenheit nicht mehr fühlen, als er in der Gegenwart offen und ehrlich sein kann. Andernfalls Werden vergangene Gefühle zu einer Abwehr in der Gegenwart.

2) Der Patient muß die Bereitschaft zeigen, aus seinen Gefühlen heraus leben zu wollen. Gefühle besitzen eine derartige Kraft, daß die Patienten oftmals nicht bereit sind, sich längeren Zeiten intensiven Fühlens auszusetzen. Transformation erfordert eine Obereinstimmung ihres äußeren Lebens mit ihrem inneren Gefühlsniveau.

3) Tiefe intrapersonale (desintegrative) Erfahrungen müssen durch ebenso tiefe interpersonale (integrative) Erfahrungen in Einklang gebracht werden;

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Dies bedeutet, daß wochen- oder monatelanges Weinen in der Vergangenheit keine transformations­auslösende Wirkung hat. Jemand, der dies tut, gibt sein gegenwärtiges Leben zugunsten einer Theorie über das Leben auf. Andererseits sind interpersonale Erfahrungen begrenzt, wenn die Bereitschaft zu einer vollständigen Desintegration von Vorstellungen, Ideen und Rollen fehlt und die Vorherrschaft und Führung von Gefühlen nicht akzeptiert wird.

 

Die zentrale Komponente menschlicher Transformation ist das Fühlen. Ein Feeling Therapeut kann dem Patienten gleichzeitig helfen, die zerbrochenen und zertrümmerten Teile in ihm zu heilen, und ihn in eine Gefühlsrealität einführen, die frei von Verzerrungen und emotionaler Verworrenheit ist. Für den Patienten ist dies der Anfang eines gefühlten Lebens. 

Ein solches gefühltes Leben ist vielleicht schwerer als die frühen Geburtstraumata, denen er unterlag, denn zu der Zeit hatte er keine andere Wahl als weiterzumachen. Jetzt aber, als Erwachsener, muß er sich fortwährend entscheiden: "Ich muß mich entscheiden, zu fühlen. Ich muß mich entscheiden, weiterzumachen". 

Die Tragödie eines durcheinandergebrachten Lebens ist, daß die Menschen lernen, mit dem "Weitermachen" aufzuhören; sie passen sich an niedrigere Niveaus an. Stellen Sie sich die Stärke des kindlichen Geburts­kampfes in Erwachsenen­dimensionen vor, dann können Sie sich ungefähr ein Bild davon machen, wie Menschen sein könnten, wenn sie nicht durcheinandergebracht wären. Es macht Angst, sich zu entscheiden, wenn alles bisher Vertraute und Bekannte genommen und nicht durch ein Glaubenssystem ersetzt wird. 

Wenn alles, was jemandem gegeben wird, er selbst ist, wenn er gezwungen wird, zu wählen, sich zu entscheiden und eine eigene Gefühlsrealität zu schaffen, wenn alle intellektuellen Gedanken und Hoffnungen auf ihre ursprünglichen Abwehrebenen zurückgeführt werden, wenn nur er im Mittelpunkt ist, dann hat sich diese Person einem Augenblick der Wahl geöffnet. Wenn sie sich entscheidet, lernt sie das Gefühl, die Kraft und das Wissen der Transformation kennen2)

Ein Therapeut, Werner, beschrieb seine Erfahrungen folgendermaßen:

"Als Therapeut weiß ich, daß ich meine Gefühle immer therapeutisch zum Ausdruck bringen muß; doch wenn ich ein Patient bin, spiele ich gelegentlich mit dem Gedanken, nie wieder zu fühlen. Meine Abwehr tritt in Aktion, und ich möchte, daß meine Gefühle verschwinden. Nur wenn ich als Patient in einer Sitzung bin, spüre ich, wie tief meine Passivität in mich hineingedrillt wurde. 

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Passivität scheint nur für kurze Zeit gut zu sein; danach beginne ich, mich unwohl zu fühlen. Was in meinem Kopf vorgeht, ist folgendes: Ich weiß, was ich sagen will, aber ich habe Angst, es auszusprechen. Ich weiß dann nicht, ob das, was ich sage, irgendetwas bringt oder ob das hilft, was mein Therapeut mir sagt. In jeder Sitzung muß ich dieses Herumjonglieren mit Gefühlen aufgeben und mich dem Therapeuten übergeben. Ich fühle, ob ich mich verändern will, und dann bin ich bereit, anzunehmen und zu tun, was er mir sagt. Ich weiß nicht, ob es klappt — ich weiß nur, daß ich mich bei dem unwohl fühle, was ich tue. 

Ich gebe mich allem hin, was er sagt, und lasse zu, daß meine Abwehr ganz rauskommt und danach meine Gefühle. Was passiert, verblüfft mich. Ich gehe in die Sitzung und fühle und denke in bestimmter Weise und komme ganz anders heraus. Ich fühle mich wieder mit Leben erfüllt. In meinem ganzen Körper spüre ich dieses strömende Gefühl. Ich rede und bin die Worte. Ich fühle mich selbst und meine Freunde. Ich sehe andere — ihre Verrücktheit und ihre Güte. Ich höre ihre Worte und ihre Gefühle. Ich bin ein offenes menschliches Wesen."  

 

Werner hat Sitzungen auf einem bestimmten Gefühlsniveau begonnen, und dadurch, daß er sich in die notwendige Abhängigkeit des Patientseins begibt, weichen die Beschränkungen seines Lebens. Jeder Patient hat ein bestimmtes Integrationsniveau oder Grenzen, in denen er seine Gedanken, Gefühle oder sein Verhalten einhält. Damit die Grenzen des Gefühlsprozesses ausgeweitet werden können, wird dem Patienten geholfen, eine Sprache zu entwickeln, die seine Gefühle zum Ausdruck bringt. Das heißt, er muß all die nicht definierten Teile seiner Person zum Ausdruck bringen. Bedeutungen, Empfindungen und Formen des Ausdrucks, die normalerweise unbeachtet bleiben, kommen zum Bewußtsein und dann zum Ausdruck.

Vor Therapiebeginn könnte die Sprache eines Patienten auf Monologe in seinem Kopf beschränkt sein. Viel leicht hält er seine körperlichen Impulse zurück und rationalisiert, oder er stottert oder redet laut, vielleicht ist er schweigsam oder in seiner Mimik unbeteiligt, oder er überlegt sich sorgfältig, was er sagt. Die sämtlichen Ausdrucksformen einer Person bilden ihre Sprache. Eine abwehrende Sprache hält falsche Vorstellungen und Rollen zusammen. 

Ein Patient brachte dies folgendermaßen zum Ausdruck:

Vor der Therapie konnte ich mich beim Reden irgendetwas in meinem Kopf sagen hören, doch es kam nie direkt aus meinem Mund. Ich konnte nie direkt aussprechen, was ich meinte. Wenn ich die Worte aussprach, paßten meine Gefühle nicht. Meist war ich innerlich abgestorben, wenn ich etwas direkt sagen wollte. Ich redete über andere, doch nie zu ihnen. Erst nach monatelanger Therapie spürte ich allmählich, daß nicht nur meine Gedanken kontrolliert waren, sondern mein ganzer Körper zusammengezogen war.

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Als Kinder erlernten, die Patienten eine Sprache, bei der niemand direkt wußte, was gemeint war. Es gibt keine vollständige Kommunikation durch Worte; was jemand weiß, weiß er durch Fühlen. Viele Menschen versuchen, ihre Worte als Realität zu verwenden, aber Worte ohne Gefühle sind lediglich Worte über das Leben — sie drücken nicht Leben aus.  

Bevor der Patient seine eigene Sprache zu bilden beginnt, läßt sich seine Struktur anhand eines Schemas veranschaulichen, das eine geschlossene und von Unsinnsschichten umgebene Gefühlsebene zeigt. Die Frage ist, wie kommt man von einem verzerrten Gefühlszyklus zu einem geordneten Zyklus. In der Feeling Therapie erkennen wir die Verzerrungen und beginnen, den Patienten aus seiner verzerrten und unechten Ganzheit an einen Augenblick der Wahl heranzuführen. Er steht vor einem solchen ersten Augenblick, wenn er sich erlaubt, mit dem Therapeuten Kontakt aufzunehmen. Die Abwehrmechanismen des Patienten sind unwirksam gemacht worden, und er ist einige Sekunden lang frei, nach Kontakt zu greifen und direkt die Hilfe zu fordern, die er braucht, um anzufangen, seine Gefühle zu ordnen und in Einklang zu bringen. 

Eine Patientin trug in ihr Tagebuch ein:

An meinem allerersten Tag fing Linda an, richtig zu mir zu reden. Es spielte überhaupt keine Rolle, was ich ihr sagte. Sie drängte mich dazu, wirklich zu ihr zu reden. Ich sollte zu ihr reden. Ich hatte Angst. Ich wollte reden, doch was ich fühlte, waren Entschuldigungen. Diese Entschuldigungen und Begründungen bedrückten mich. Schließlich sagte ich zu ihr: <Ich fühle mich richtig unwohl. Ich sehe dich — du bist so lebendig. Ich möchte auch lebendig sein. Alle meine Worte sind in mir gefangen. Hilf mir, Linda. Bitte hilf mir.>    

 

Abbildung 5: Verzerrte Komponenten des Gefühlszyklus vor der Therapie

 

Pseudo-Gegenaktion

ungefühlte und unbewußte Regression 

 Unsinnsschicht

 

Pseudo-Abreaktion 

Gefühlsebene 

  Pseudo-Integration

Pseudo-Proaktion 

Pseudo-Integration: wirkt als Produkt der Umgebung  
Pseudo-Gegenaktion: Meinungen = ich sollte dies nicht tun oder nicht so sein
Pseudo-Abreaktion: verworrene Regression, symbolisehe Abgestorbenheit, ersatzweises Abreagieren, Müdigkeit, Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit 
Pseudo-Proaktion: Meinungen = Ich soll te di es tun oder so sein 

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Die Transformationsdynamik setzt ein, wenn der Therapeut Gefühlskontakt mit dem Patienten aufnimmt. Dem Therapeuten gelingt es, gefühlten Kontakt herzustellen, weil er nicht auf Abwehrmechanismen, Projektionen und Vorstellungen reagiert, die der Patient zeigt. Er reagiert nur auf die Gefühle des Patienten. Bei aller symbolischen Sprache hat jeder Patient nur eins zu sagen: "Ich möchte Kontakt". Der Therapeut wird die verzerrte und entstellte Form, in der dies gesagt wird, nicht falsch interpretieren. Er reagiert auf jede winzige Kontaktannäherung, ganz gleich, wie verbal oder physisch verkleidet sie sein mag. Wenn der Patient nach Kontakt greift, wie symbolisch auch immer, beginnt er, sich selbst zu ordnen. Kontakt ist ein fundamentales Greifen nach dem anderen. Es spielt keine Rolle, ob sich Menschen streiten oder lieben — jede Interaktion ist ein Versuch, sich gegenseitig durch Gefühle zu erreichen.

Die Menschen haben gleichermaßen Angst vor wirklichem Streit wie vor wirklicher Nähe. Jeder vollständige Ausdruck ist eine Brücke zu tieferer Nähe. Werden Wut, verrückte Gedanken oder Beurteilungen gefühlt und zum Ausdruck gebracht, verwandeln sie sich in Gefühle und in das Bedürfnis nach Nähe. Werden sie zurückgehalten, erzeugen sie den inneren Unsinn, der die Menschen voneinander trennt.

 

Vollständiges Fühlen: Die erste Stufe  

 

Für Paul war es nicht leicht, Kontakt aufzunehmen. Seine Worte hörten sich stets richtig an, aber er war nicht imstande, irgendein Gefühl zu äußern. Sein erster Gefühlsausdruck trat nach dem sechsten Therapietag in dieser Sitzung auf; Paul spricht hier über seine Stimme:

P: Meine Stimme klingt so, als ob sie von woanders herkommt. Wie von einem kleinen Jungen, wenn ihn jemand fragt, ob er es getan hat! Ich wechsle dauernd das Thema und springe von meinen Gedanken ab. Ich winde mich. 

Er kann trotz seiner richtigen Analyse nicht nahe bei seinem gegenwärtigen Gefühl bleiben, dem Gefühl, daß ihm seine Stimme nicht wie seine eigene vorkommt. Seine Anspielung auf einen "kleinen Jungen" könnte ein Schachzug sein, um zu sehen, ob der Therapeut ihn nach seiner Vergangenheit fragen würde. Es könnte auch eine generalisierte Bedeutung sein, die er mit dieser generalisierten Empfindung verknüpft hat. In jedem Fall ist es eine Abwendung von seinem spezifischen Gefühl.

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T: Was ist mit deiner Stimme?  
P: Ich höre sie nicht gern. Ich würde ihr nicht lange zuhören wollen. Ich würde nicht gern mit diesem Menschen reden, wenn ich ihn treffen sollte. Dieser Mensch spricht die ganze Zeit aus meinem Mund. Dieser Mensch denkt die ganze Zeit weiter. Er modelt alles um. Ungeschehene Dinge. Ich kann nicht antworten - er hat bereits geantwortet. Das geht schon eine lange Zeit so. Ich nehme nur Worte in den Mund. Es kommt nichts heraus, bloß Worte. Ich gebe lieber auf, als es zu versuchen und nicht zu schaffen. Die ganze Zeit mache ich das Aufgeben.  
T: Wenn du willst, kannst du jetzt aufgeben.  
P: Ich möchte schon, aber ich fühle mich so schlecht. Mein Gott, ich habe das Gefühl, daß meine Stimme von mir getrennt ist. Es fällt mir schwer, zu versuchen, sie zu finden.  
T: Was für ein Gefühl hast du beim Reden?  
P: Es steckt kein Fluß drin, kein Zusammenhang. Ich warte immer nur. Ach Gott. So komme ich davon. Ich rede bloß Scheiße. Und dann mache ich die anderen noch dafür verantwortlich.  
T: Du vergißt ständig eins - daß du deine Stimme willst.  
P: (Statt über diesen Wunsch zu reden oder darüber, wie er ihn vergißt, fängt er zu wei nen an.)Das ist der springende Punkt. Und alles andere ist Blödsinn. Ich will meine Stimme, (weint) Ich bin schon gegangen. Ich will meine Stimme, (weint) Ich bin so verloren. Ich will meine Stimme, (leises Schluchzen und Weinen) ... Das ist mein Weg.

Pauls Therapeut, Werner, meinte zu der Sitzung:

Diese subtile ambivalente Beziehung zu seiner Stimme ist der einzige reale Ansatzpunkt für Paul. Er merkt, daß er sich selbst verliert und wieder findet. Seine frühere Abwehr bestand darin, angeberisch und schlau daherzureden, aber als ich dieser Abwehr entgegenwirkte, begann er zu stottern, wie er es als Teenager getan hatte, und es fiel ihm schwer, in einer Weise zu reden, die er fühlen konnte. Dieser erste echte Kontakt zu mir hat Paul einen Bezugspunkt gegeben. Er weiß, daß er mit mir Kontakt aufnehmen kann, wenn er seine Stimme findet.  

Indem sich der Therapeut auf Pauls gegenwärtiges Gefühl, seine eigene Stimme haben zu wollen, konzentrierte, führte er ihn auf eine Gefühlsebene, die intensiver war, als jenes zu Beginn seiner Sitzung, und er verhalf ihm zu Kontakt. Paul kann mit dem Therapeuten über seine eigene Stimme Kontakt aufnehmen. Wenn er sich in seiner eigenen Stimme reden läßt, kann er dem Therapeuten seine Gefühle mit seiner Stimme offenbaren. Dieser Kontakt ist für Paul der Beginn des Ausdrucks seiner Gefühle. Es gibt keinen Gefühlsausdruck ohne Kontakt.

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Der Therapeut hat Paul in seiner eigenen Gefühlsbewußtheit des <Das will ich> gefestigt. Dazu war es notwendig, den Abwehrmechanismen des Patienten entgegenzuwirken. Das therapeutische Gleichgewicht wird dadurch gewahrt, daß die Abwehr entsprechend dem Integrationsniveau unwirksam gemacht wird. Das heißt, auf jede Abwehr gibt es nur eine einzige exakte und explizite Antwort. Diese Antwort ist eine Gefühls­entgegnung. Sie dringt durch die Abwehr hindurch und eröffnet einen Augenblick der Wahl. Das Entgegenarbeiten gegen Pauls Abwehr ist tatsächlich eine Bewegung zu seinen Gefühlen hin. Eine Technik hätte ihn bloß von seinen Gefühlen weg- und in seine intellektuelle Abwehr hineingeführt. Was ihn ordnet, ist der Therapeut, der ihm hilft, sich selbst zu fühlen. Es wird kein Druck ausgeübt, sonst noch etwas zu tun. Die therapeutische Entgegnung der Abwehr des Patienten schafft eine neue Bewußtheit — eine Bewußtheit von dem, was vorher nicht eindeutig war: "Ich will meine Stimme".

Die Entgegnung des Therapeuten war im Fall von Paul einfach, aber exakt: "Du vergißt ständig, was du willst". Es waren indes nicht allein seine einsichtsvollen Worte, die hilfreich für den Patienten waren, sondern auch die vorangegangenen Tage, in denen er sich fortwährend auf den Patienten zu- und durch seine Abwehr hindurchbewegt hatte.

Die Desintegration darf das Integrationsniveau nicht überschreiten, auch nicht geringfügig3). Für Paul war dies einfaches Schluchzen. Durch dieses Gleichgewicht wird die Transformationsdynamik im Individuum gefestigt. Paul hat dann sich, statt eine Therapieerfahrung. Da er sich selbst fühlt, weis er, daß er etwas unternehmen muß, wenn er nicht fühlt und verloren ist.

Für Paul war die Wiederfindung seiner eigenen Worte und die Hinwendung zum Gefühlsausdruck der Anfang eines völlig neuartigen Seins: Die Art zu fühlen begann die Denkweise zu ersetzen. Dieses Beispiel ist sehr einfach, doch es offenbart in seiner Einfachheit die dem Versuch "seine eigene Stimme" zu finden inhärenten Schwierigkeiten. Paul stellt dies so dar:

Ich war immer ein guter Redner. Jetzt fühle ich mich bedrückter und weniger gesprächig. Ich habe früher andere von mir zu überzeugen versucht — nun versuche ich, mich zu fühlen. Das fällt mir sehr schwer. Ich verliere mich noch selbst und fliehe in meine Phantasiereisen über Therapie. Alles, was ich weiß, ist, daß ich meine Stimme will.  

Vielen Patienten mißfällt anfangs das langsame schrittweise Vorgehen in der Feeling-Therapie. Wir bestehen darauf, daß die Patienten Schritt für Schritt vorgehen. Häufig wollen sie sich in ihre Vergangenheit und Verrücktheit hineinstürzen, um auf einmal alles herauszubekommen. 

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Aber ein solches Hineinstürzen bedeutet: Es wird keine fortschreitende Bewegung erlebt. Jede Stufe im Transformationszyklus ist in sich schwierig. Wir halten zu einfachem und stimmigem Ausdruck an, damit ein Patient seinen Weg durch seine Abwehrmechanismen und Verrücktheit zurückverfolgen kann.

Wir wollen nicht Pauls weitere Entwicklung durch die Transformationsstufen analysieren. Generell läßt sich der Verlauf der Vervollständigung der ersten Stufe des Transformationsprozesses folgendermaßen beschreiben: Die Abwehrmechanismen des Patienten werden auf seiner Ebene der Pseudo-Integration unwirksam gemacht, und er tritt in die gegenaktive Phase des Zyklus ein. Wenn der Patient imstande ist, bei sich zu bleiben, während er seine Verrücktheit spürt, wird er in die abreaktive und daraufhin in die proaktive Phase hineingeführt. Wenn diese drei Phasen geordnet und gleich intensiv sind, dann ist der Patient in eine tiefere Gefühls- oder Integrationsschicht eingeführt worden. Sämtliche Phasen müssen gelebt werden, wenn die Integration überdauern soll.

Abb. 6 zeigt und beschreibt, was bei der Vervollständigung des ersten Zyklus geschieht.

Die Spirale läßt erkennen, daß die Ebene des Fühlens nicht mehr abgetrennt ist. Sie hat sich geöffnet und ausgeweitet, als das neue Integrationsniveau erworben wurde. Es ist offen für weiteres Fühlen und weitere Verrücktheit aus' der Unsinnsschicht. Die geschlossene Gefühlsebene schützte die Person vor dem Einströmen der Unsinnsschicht. Aber es wird nun dadurch aufgebrochen, daß die Person erlebt, daß sie "verrückter fühlt" und "mehr verrückte Gedanken hat" als jemals zuvor. 

An diesem Punkt des Wachstums gerät mancher Patient in die bekannte Falle, indem er in seinen Erlebnissen einen Sinn zu finden versucht. Er muß sich die Freiheit des Nichtwissens und Unsinnigseins zubilligen, wenn er je andere Gefühlsebenen erreichen will. Falls er sich Einhalt gebietet, wäre er gezwungen, eine neue vernünftige Verrücktheit aufzubauen oder auf seine frühere abgetrennte Gefühlsebene zurückzukehren. Alles, außer an seine eigenen Gefühlsprozesse zu glauben, wäre eine symbolische Unterbindung seines Gefühlsflusses. Dieser Punkt ist für viele Patienten entscheidend - erreichen sie ihn, können sie fühlen, daß sie sich verändern werden, falls sie weitermachen, und eine solche Realität ist für viele Menschen überwältigend.

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Abb. 6:  Die erste Stufe = Öffnung der Gefühlsebene*

 

   Gegenaktion    

  Abreaktion               *                 Integration  

   Proaktion   

———  Gefühlsbewegung  
- - - - - - -  Unsinnsgrenze  

Integration: Gefühlskontakt mit dem Therapeuten - vom Therapeuten geführt.  
Gegenaktion: Der Therapeut arbeitet dem Nichtfühlen und dem Nichtausdruck entgegen.  
Abreaktion: Ausdruck einfacher Gefühle in der Gegenwart; dargestellte Abreaktionen. 
Gefühle darüber, was in der Vergangenheit geschah.  
Proaktion: Übergang von Offenheit in der Sitzung zu tieferem Kontakt in der Gegenwart. Neuer offener Austausch.

* OD, 2006:  Hier fehlen in der Zeichnung  (die) Striche? Kann jemand helfen?  (Im Originalbuch Going Sane  nachsehen?)

*

Um dieses neue Niveau aufrechtzuerhalten, fährt der Patient fort, seine ausdrucksstarke Sprache zu entwickeln, damit er dem Therapeuten auf einfache Weise mitteilen kann, was er fühlt. Er beginnt, sein Leben zu teilen — sowohl seine neuentdeckten geordneten Gefühle als auch seine erhöhte Bewußtheit des Unsinns. Er muß seine verrückten Gedanken und verworrenen Gefühle aussprechen, ehe sie gefühlt werden können. Dies ist der Grund, warum er auf Kontakt zu seinem Therapeuten hinarbeiten muß. Der Kontakt läßt ihn erkennen, daß seine verrückten Gedanken nicht beurteilt, sondern als Bestandteil seines Wachstumsprozesses akzeptiert werden.

Wenn Patienten nicht fühlen können, hoffen sie auf irgendein großes Erlebnis, das sie auf Dauer verändern werde. Sie hoffen auf einen "Abrakadabra"-Effekt, doch Therapie ist keine Zauberei. Wenn jemand über sein eigenes inneres Gleichgewicht hinausgeht, tauscht er lediglich ein Symbolsystem gegen ein anderes aus. Es ist wichtig, daß er allmählich den Vorgang erkennt, der seine Transformation auslöst. Was die Feeling Therapie so schwierig macht, ist, daß die Patienten aus ihren Gefühlen und ihrem "Erkennen" heraus leben müssen. Dies bedeutet, sie werden niemals die erste Transformationsstufe vervollständigen, wenn sie sich nicht ganz und gar ihren Gefühlen überlassen. Falls sie den ersten schwierigen Schritt nicht vervollständigen können, müssen sie immer wieder zu den Grundlagen der Therapie zurückkehren, bis sie spüren können, daß sie ihren Gefühlen nachgeben. 

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Dieses Nachgeben ermöglicht ihnen, mit der Beurteilung ihrer selbst und ihrer gesamten Umgebung aufzuhören. Sie ebnen einer natürlichen Gesundung den Weg. Jeder Tag wird von dem Patienten selbst geschaffen und gelebt, und er ist vollkommen für sich verantwortlich.

Die Transformation ist ein dynamischer Prozeß, weil die einzelnen Bestandteile miteinander in Beziehung stehen und sich wechselseitig beeinflussen. Die Grundebene der Integration ermöglicht im Rahmen einer balancierten Bewegung Gegenaktion. Abreaktion und Proaktion der gleichen grundlegenden Intensität. Wenn jedoch die einzelnen Vorgänge gefühlsbewußt werden, verbinden sie sich und erhöhen und verändern das Integrationsniveau. Indem sich die Gefühlsebene ausweitet, ermöglicht sie ihrerseits eine intensivere Gegenaktion, Abreaktion und Proaktion. Ohne Gleichgewicht bleibt es bei emotionaler Verworrenheit; es werden neue Ansichten erworben, die das Ungleichgewicht kompensieren sollen. Der "unausgeglichene" Patient wird jedes intellektuelle System aufgreifen, welches ihm hilft, sich auszugleichen - dies ist eine gute Technik, um Bekehrte zu schaffen, doch sie nützt dem Einzelnen in keiner Weise.

 

   Übergang zur zweiten Stufe   

 

Im ersten Zyklus wird sich der Patient des Unterschiedes zwischen Vergangenheit und Gegenwart bewußt. Er beginnt zu spüren, wie er wirklich ist und was ihm angetan wurde. Er beginnt zwischen dem zu unterscheiden, was er sich selbst mit seiner internalisierten Verrücktheit antut, und dem, was er tun will. Er will reden und alles aussprechen, was in ihm ist und seine Gefühle dem folgen lassen; seine Verrücktheit will, daß er private Gedanken denkt und an ihnen als Wahrheit festhält. Seine gefühlte Bewußtheit seiner Vergangenheit und Gegenwart festigt ihn auf einer neuen Integrationsebene — einer Ebene, von der aus er mit der Hilfe seines Therapeuten beginnt, seiner symbolischen Vermeidung von Gefühlskontakt entgegenzuarbeiten. 

Das Agieren gegen die Abwehr hat eine Desintegration zur Folge, wobei Gefühle über das zum Ausdruck gebracht werden, was in der Vergangenheit geschehen ist (sowohl in der jüngeren als auch in der weiter zurückliegenden Vergangenheit). Diese Desintegration bewirkt eine proaktive Bewegung — eine Bewegung zum Kontakt hin. Während dieses Geschehens benötigt der Patient die Unterstützung des Therapeuten, damit seine eigene freie Bewegung gefestigt und verhindert wird, daß er seine früheren Werte durch Sprachimitationen der Therapie ersetzt.

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Tony ist ein Patient, der nach drei jährigem Vietnamdienst zum Center kam. Während seiner Armeezeit hatte er angefangen, Drogen auszuprobieren, und bis zum Zeitpunkt seines Therapiebeginns mit Heroin vermischtes Marihuana geraucht. Seine ganze Sorge, allerdings galt dem, was er "LSD-Flashbacks" nannte. In Streßperioden überkam ihn fürchterliche Angst, daß er "abfahren und nicht mehr zurückkommen könnte". Seine einzige Beschreibung seiner Gefühlswelt war, daß sie ein "Meer voller Schwärze" sei.

Als Tony in die Therapie kam, hatte er keine Erinnerungen und nur diffuse Gefühle. Zum Zeitpunkt dieser Sitzung redete er über seine Vietnamerfahrungen.

P: Ich wollte sie töten.  
T: Wen?  
P: Die V.C.  
T: Sprich im Klartext. Wovon redest du?  
P: Die V. C. bombardierten uns, und wir steckten bis zum Hals in der Scheiße, überall um mich herum explodierten Granaten. Ich dachte bloß: "Hoffentlich können wir ein paar erledigen" .  
T: Wie fühlst du dich?  
P: Wütend. Ich war ziemlich sauer, daß wir bombardiert wurden. Ich wollte sie richtig verletzen. Ich wollte sie durchlöchern und verwunden. (Während er redete; wurde er immer lauter, bis er schließlich vor Wut explodierte und ungefähr zwanzig Minuten lang erregt schrie.)  
T: Wie fühlst du dich?  
P: Ich hasse sie. Ich hasse sie.  
T: Wie hast du dich gefühlt?  
P: Riggs, ich hatte' Angst. Ich hatte Angst, Riggs. Ich dachte, ich müßte sterben.  

Tony schluchzte tief und war schweißdurchnäßt. Weinend offenbarte er dem Therapeuten seine wahren Ängste in dieser Situation und erzählte ihm, wie er seine wirklichen Gefühle abgewehrt hatte. Schließlich sprach er dann darüber, wie er diese Abwehr als kleiner Junge benutzt hatte.

P: Ich hatte immer solche Angst, daß ich dauernd in Kämpfe geriet. Ich hatte richtig Angst. Meine Mutter schrie und kreischte immer, und ich haute dann ab. Dann begann ich einen Kampf. Ich hatte wirklich Angst.  

Tony erinnerte sich weiter und reagierte seine Gefühle ab, bis er zu einem kleinen Jungen regrediert war, dessen einzige Befreiungsmöglichkeit von einer schreienden Mutter das Ausagieren an anderen Kindern war. Als diese Abwehr von ihm abgefallen war, fühlte er, was ihm widerfahren war.

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P: Mamma, du schlägst mich. Deine Worte schlagen mich. Ich habe Angst, wenn du schreist. Du erinnerst dich nicht an mich. Ich bin dein Junge. (Das Kind erlebt das Schreien als das, was es wirklich war - eine Empfindung für ihn.) Ich bin dein Junge. Mamma, erinnere dich an mich. Mamma, ich habe Angst. Bitte Mamma, erinnere dich an mich.

Tonys Fühlen ließ nach einer halben Stunde intensiver Abreaktionen seiner jüngeren und entfernteren Vergangenheit nach. Es war ein Fühlen seiner Abwehr, kein intellektuelles Einordnen und Suchen, das ihn zu tieferen Gefühlen führte. Seine Erinnerung gab sich frei und natürlich als ein Nebenprodukt eines einfachen Gefühlsausdrucks seiner Abwehr. Neue Patienten versuchen oftmals, ein ganzes Bündel von Gefühlserinnerungen zu wecken, aber sie haben keine Ahnung von dem natürlichen Ablauf, der in einer vollständigen Spirale geschieht.

Tonys Beispiel macht deutlich, daß sich sein Gefühlsniveau vertieft hat. Er hatte bereits seine erste Stufe vervollständigt und aus den Gefühlen heraus gelebt, die sich aus der zweiten Stufe ergaben. Lassen Sie sich nicht durch diese Beschreibungen von Stufen des Fühlens verwirren. Wir verwenden sie lediglich zur theoretischen Illustration. Tony würde niemals sagen: "Ich bin auf der zweiten Stufe". Er wußte nur, daß sich sein Gefühlsniveau vertieft hatte und er aus dem heraus leben wollte, was er fühlte.

Innerhalb des zweiten Zyklus (wie Figur 7 zeigt) kommt es zu einer eindeutigen Verlagerung, der Verantwortung, um den Prozeß der Transformation weiter entfalten zu können.

 

Figur 7: Die zweite Stufe  =  Über den Unsinn hinaus  

 

     Gegenaktion      

     Abreaktion                                        Integration    

       Proaktion     

 

———— Gefühlsbewegung  
- - - - - -   Unsinnsgrenze   

Integration: Erhöhtes Kontaktniveau in der Gegenwart; die Unsinnsschicht wird durchbrochen und in die Spirale aufgenommen. 
Gegenaktion: Der Patient spürt den Verlust von Kontakt; er beginnt, sich dem Fühlen und Kontakt zuzuwenden.  
Abreaktion: Gefühl und Ausdruck des Fühlens in der Vergangenheit. Der Patient fühlt sich, wie er als Kind war.  
Proaktion: Kontaktausweitung; tieferes öffnen gegenüber dem Therapeuten in der Gegenwart.  

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Diese Verlagerung hat zwei Dimensionen:

1) Der Anfang von Kontakt im Patienten aus einer gefühlten Bewußtheit heraus; und  
2) Der Wille, das Fühlen statt der Abwehr zu wählen.

Um dies zu tun, erlebt der Patient eine längere Zeit, in der er gar nichts weiß. Die Wahl, sich auf das Fühlen hinzubewegen, bedeutet Aufgabe der Sicherheit einer verstandesmäßigen und definierten Abwehr. Diese Wahl stellt die gefühlte Bewußtheit in der Person wieder her, so daß sein Kontakt zu dem Therapeuten ein unabhängiger Kontakt wird und dazu beiträgt, Illusionen über Therapie und falsche Vorstellungen vom Patientsein zu entschleiern. Ein Patient drückt dies so aus:

In der Therapie kam schließlich, ein Punkt, wo ich alle meine verrückten Gedanken ausgesprochen hatte, und was ich dachte waren "nicht so verrückte Gedanken" über all die Therapeuten und die Therapie. Ich sprach sie aus, um zu zeigen, was sich in meinem Innern abspielte. Ich wollte ihnen glauben, aber die meisten waren für mich Gefühle. Mein Therapeut sagte mir, daß es zum Teil richtig wäre, was ich über ihn gesagt hätte. Aber für mich war es wichtiger, auszusprechen, was ich dachte, und meine Gefühle zu spüren. Seine Ehrlichkeit erstaunte mich. Er ließ mich nicht abblitzen — er kam zu mir durch mit seiner Offenheit. Ich fühlte mich vollkommen frei. Ich konnte jedem alles sagen.

Gefühlte Bewußtheit weitet sich aus, weil es ein Prozeß ist, kein statisches Gefüge von Annahmen. Die Gefühle in jemandem ersetzen das ausschließliche Vertrauen in Annahmen, wie die Welt ist. Auf dieser Stufe hat sich die Spirale ganz geöffnet. Die Unsinnsschicht umschließt nun nicht mehr das Fühlen. Der Patient hat begonnen, der zu sein, der er ist. Seine Gefühle sind sein Bezugspunkt. Er fühlt und übernimmt die Verantwortung für sein Leben.

 

 Übergang zur dritten Stufe  

 

Sobald diese Verlagerung hin zur Verantwortung einsetzt, wird der dritte Zyklus des Prozesses eingeleitet. In diesem Zyklus ist die Integrationsebene eine Ebene der Verantwortung. Die Sprache spiegelt diese Verantwortung in Sätzen wider, wie: "Ich fühle es. Ich will es". 

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Eine Sprache voll Verantwortung ist von einer Flexibilität, die die gegenwärtigen Bedürfnisse des Erwachsenen ebenso wie die Bedürfnisse und Gefühle des Kindes zum Ausdruck bringen kann. Die Sprache wird zu einer Sprache des Ausdrucks, die auf Kontakt und Offenheit hin wirkt. Diese Integrationsebene erzeugt eine neue Form der Gegenaktion — Gegenaktion, die aus dem Drang nach Kontakt mit anderen und sich selbst erwächst. Es wird nicht mehr als angenehm empfunden, von sich selbst wegzugehen, deshalb ist das Individuum darauf aus, wiederkehrenden Abwehrmechanismen, die ständig die gefühlte Bewußtheit verringern, entgegenzuwirken.

Murray war ein Patient mit über einjähriger Therapieerfahrung. Seine ausgesprochene Ehrlichkeit in der Gegenwart verschaffte ihm, wann immer er sich in der Therapie hinlegte und sich mit seinen Gefühlen beschäftigte, Zugang zu seinen Abwehrprozessen. Dieses Beispiel läßt deutlich die Intensität der Regression und der herausgelassenen Gefühle erkennen. Der Patient ist innerlich angetrieben, sich zum Ausdruck hin zu bewegen, selbst dann, wenn er auf erschreckende und desintegrierende Gefühle stößt.

T: Was ist passiert? 
P: Ich fühle mich nicht wohl. Ich habe das Gefühl, mein Körper ist taub. Eigentlich nicht taub. Eher wie ein dumpfer Schmerz. (Sie reden noch weitere zehn. Minuten darüber.)  
T: Was ist sonst noch passiert?  
P: Nicht viel. Mein Leben ist besser denn je. Ich spüre bloß einen Scfimerz. Auf dem Weg hierher habe ich eine Reklametafel gesehen, die mich an unser LebeRr-in Spokane erinnert hat.  
T: Erzähl mir von Spokane.  
P: Ich sehe ganz genau das Haus vor mir. Es war tadellos. Bei meiner Mutter war alles tadellos. Der Hof, die Möbel - alles hatte seinen Platz.  
T: Wo war dein Platz?  
P: In der Schulfe, in meinem Zimmer oder draußen. Ich hatte nie einen Platz bei der Familie. Wir hatten nie eine Familie. Wir taten alles mögliche, aber wir hatten nie eine Familie.  
T: Was für eine Familie wolltest du? 
P: Ich wollte eine Mutter, die wirklich an alle'm teilnahm, was geschah, und. einen =iter, der mich in meinem eigenen Tempo aufwachsen läßt. (Er fängt während des Redens zu weinen an.) Und Brüder und Schwestern, die sich nicht mit mir stritten.  
T: Stritten sich deine Geschwister?  

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P: Ja, dauernd. Biestig, kratzbürstig - sie schrien und stritten sich.  
T: Was hast du bei solchen. Streitereien gefühlt?  
P: Es hat mir weh getan.  
T: Was hast du mit dem Schmerz gemacht?  
P: Ich hab ihn zurückgehalten.  
T: Zeig mir, wie du zurückhäist.  
P: Etwa so (sehr laut und grob). Ich habe meinen ganzen Schmerz zurückgehalten.  
T: Tut dir jetzt etwas weh?  
P: Ja.  
T: Kannst du ein kleines bißchen davon rauslassen?  
P: Nein. Nein. Nein. Ich werde nichts rauslassen. Ich fühle mich schwindelig. Mir kommt es vor, als ob ich in einem Nebel sei. Ach Gott, ich fühle mich verloren. Joe, bist du da? 
T: Ja, ich bin hier.  
P: Joe, hilf mir. (Der Patient liegt jetzt zusammengekauert in einer Ecke.)  
T: Was ist los?  
P: Sie nehmen mich mir weg. Ich denke jetzt gerade an die Schule und an die Boote.  
T: Wo bist du gewesen?  
P: Ich war woanders. Mir geht es so schlecht. Sie tun mir weh. Ich werde taub. Ich kann meine Beine überhaupt nicht mehr spüren.  
T: Zeig ihnen, was sie dir antun.  
P: Ihr bringt mich um. Ihr bringt mich um.  
T: Zeig' ihnen alles.  
P: Mamma, du bringst mich um. Dieser ganze Krach bringt mich um. Ich verschwinde in dichtem Nebel. Joe,- hilf mir. Joe, Joe.  
T: Ruf es lauter. Greif nach dem, was du brauchst.  
P: Ich brauche Hilfe, Joe. Joe, hilf mir.  

An diesem Punkt arbeitete der Therapeut mit dem Körper des Patienten. Die Taubheit des Patienten nahm zu, bis schließlich die tiefe körperliche Abwehr wich und intensive emotionale Gefühle zum Ausdruck kamen.

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T: Kannst du um das bitten, was du wirklich brauchst?  
P: Mutter, bitte hilf mir. Du mußt mir helfen. Bitte, Mutter (Der Patient hat jetzt begonnen, mit seinem Körper und seiner Stimme tiefe regredierte Gefühle zu äußern.) Mutter, hilf mir. Joe, das Therapiezimmer. Ich glaube, da ist ein riesiges Loch in der Wand. Alles bricht zusammen.  
T: Sag es ihr. Sag ihr, was zusammenbricht.  
P: Joe, es ist wirklich so.  
T: Sag es ihr.  
P: Ich kann nicht, Joe. Alles bricht zusammen. Sie ist nicht da. Joe, hilf mir. Hör mich an, Joe. Mutter. Joe. Mutter. Meine Welt bricht zusammen. Ich kann nicht mehr länger fühlen. Ich verschwinde im Nebel. Mutter, kannst du nicht meine Augen sehen? Sie sind glasig. Mutter. Mutter. Mama. Mama.

Die Sitzung dauerte noch weitere eineinhalb Stunden. Während dieser Zeit schwankte der Patient weiterhin zwischen dem Gefühl, als Kind buchstäblich verrückt geworden zu sein, und dem Gefühl seiner ganzen Verrücktheit in der Gegenwart. In dieser Sitzung stellte einzig und allein der tiefe Kontakt zu dem Therapeuten die Grundlage für die Realität dar. Wenn alle Abwehr gesprengt ist; wird die volle Auswirkung eines scheinbar einfachen Durcheinanderseins gefühlt, während die logische und eingebildete Realität zurückgedrängt wird. Es existiert ausschließlich der gefühlte Kontakt zum Therapeuten, der das Individuum durch die Ruinen seines Lebens führt. Obwohl diese Erfahrung große Angst verursacht, erschließt sie dem Individuum eine neue, das Leben in der Gegenwart ausweitende Ebene gefühlter Bewußtheit.

 

Figur 8: Die dritte Stufe = Ausdehnung der Transformationsspirale  

 

   Gegenaktion   

    Abreaktion                              Integration  

   Proaktion   

————  Gefühlsbewegung   
- - - - - -  Unsinnsgrenze  
Integration: Ein offenes und fühlendes, in allen Bereichen völlig ausgeglichenes Leben. 
Gegenaktion: Enthüllen der subtilsten zurückgehaltenen Gedanken; Fühlen von Abwehrmechanismen. 
Abreaktion: Fühlen der Verrücktheit der Kindheit und des Erwachsenenalters.  
Proaktion: Gegenseitiger Austausch intensiver intimer Gefühle mit dem Therapeuten und mit Freunden.  

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In Figur 8 gibt es keine Unsinnsschicht mehr, die noch durchgearbeitet werden müßte. Der Unsinn ist nun in die Spirale des Fühlens einbezogen. Zwar sind noch Unsinnsbereiche vorhanden, aber Gefühle überwiegen. Der Patient fühlt einzig mit der Absicht, sein Gefühlsniveau zu erhöhen. Er integriert mehr und mehr von seiner Welt. Er möchte sich dem Unbekannten mehr öffnen und gibt immer mehr Annahmen auf, wie die Welt ist und wie die Menschen beschaffen sind; er beginnt, direkt in sich aufzunehmen. Er nimmt die Menschen so wahr, wie sie sind und er bringt sich selbst ohne Verstellung zum Ausdruck.

Er spürt jetzt jedes Zurückhalten oder jeden umgebogenen Ausdruck bei sich und anderen. Er ist offen und in Übereinstimmung mit sich selbst und seinen Mitmenschen. Er kann rasend vor Wut sein, ohne ein Urteil zu fällen; er kann vollkommen eng mit jemandem sein. Er erlebt die Welt mit anderen Augen. Er verändert sich ständig.

Da der Patient mehr er selbst wird, kann er seine Sprache voll und ganz als Vehikel des Ausdrucks benutzen, der auf Offenheit und Verletzbarkeit beruht. Es ist eine kraftvolle Verletzbarkeit, die tiefen Kontakt mit dem Selbst, mit anderen und der Natur ermöglicht. Ein integrierter Mensch lebt in der Gegenwart gleichsam in einer Augenblick-für-Augenblick Offenheit. Er hat kein Bedürfnis, etwas vorwegzunehmen oder sich oder andere zu begreifen — er ist offen und antwortet dem Leben.

Die dritte Spirale in der Transformation enthält eine ausgedehnte Komponente von Desintegration, die voll­komm­enen Kontakt ermöglicht. Dies bedeutet, selbst bei stärkster Abreaktion werden für das Kind Gefühle fühlbar, die in der Vergangenheit nicht auftreten konnten. Der vollkommene Kontakt zu dem Therapeuten gibt dann dem Erwachsenen die Möglichkeit, sich als ein total verletzbares Kind zu fühlen. Verschlossene Gefühlsbereiche werden wieder geöffnet, und das Kind kann zu wachsen anfangen. Während dieser heiklen Phase ist der Therapeut der Erwachsene und der Patient das Kind. Der Therapeut sieht bei völliger Aufdeckung der Gefühle des Patienten-Kindes vielfältige Gefühls-, Kontakt- und Leidensebenen. 

Diese Aufdeckung ist allerdings nur unter zwei Voraussetzungen möglich:

1) Der Therapeut hat wiederholt Kontakt zum Patienten hergestellt, einen Kontakt, der den Therapeuten offenbart und ihm die Möglichkeit gegeben hat, sein Tun mit dem Patienten über reine Technik und Gedanken hinausgehen zu lassen;

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und

2) der Patient ist in seinen eigenen Gefühlen, seiner eigenen Sprache und seiner eigenen Transform­ationsdynamik fest verankert, so daß er unabhängig geworden ist. Ohne völlige Unabhängigkeit wäre es unmöglich, völlig verletzbar zu sein. Er öffnet sich seinen lebenserhaltenden Wünschen. Er schließt nicht mehr Menschen voneinander aus. Er will sein Wollen ausweiten, um das unverbogene Fließen des Gefühls jederzeit und mit jedem zu spüren.

 

In der Transformationsspirale gibt es nicht nur drei Stufen. In gewisser Hinsicht leitet jeder vollständige, Gefühlszyklus eine neue Stufe ein, so daß es letztlich so viele Stufen wie Gefühle gibt. Die Integration jeder einzelnen Stufe erfordert eine bestimmte Zeit. Mancher braucht vielleicht Monate, um auch nur eine einzige Stufe zu vervollständigen, während andere wesentlich schneller höhere Ebenen erreichen. Jeder Patient entdeckt und lebt jede Stufe selbst. Die in diesem Kapitel beschriebenen Stufen sind umfassende innere Landkarten des Fühlens.

 

    Einführung in Fühlen, Stärke und Wissen   

 

Wir haben in unseren bisherigen Ausführungen angedeutet, daß es in der Feeling-Therapie eine explizite Einführung oder eine Folge von Einführungen in "andere" Bewußtheits- und Realitätsebenen gibt. Was wir genau meinen ist, daß bestimmte Bereiche der gefühlten Bewußtheit den meisten Menschen verschlossen geblieben sind. Der Schlüssel jedoch liegt nicht bei irgendjemandem oder irgendetwas, sondern bei mir selbst. Die Einführung ins Selbstsein ist ungeheuer schwierig, weil absolut nichts da ist, wenn ich einmal den Augenblick des Fühlens akzeptiert und Abwehrkrisen durchgestanden habe. 

Die Therapie ist nicht mehr Therapie — es gibt nur das menschliche Band zwischen Patient und Therapeut oder Freund und Freund. Dieses Nichts isoliert und befreit die Menschen dazu, selbst-zentriert zu sein und ganz aus ihren inneren Gefühlen heraus zu handeln. Sie vertrauen nicht mehr äußeren Werten, Systemen und Annahmen. Diese Freiheit ist erst möglich, wenn viele Ebenen tiefen Fühlens integriert worden sind. Die Einführung in das Selbst erfolgt. nur dann, wenn sich jemand ein Leben zu eigen gemacht hat, das seine gefühlte Bewußtheit stützt. Dies schließt ein Handeln aus Gefühlen heraus ein (die Forderung nach einer Kontaktrealität von sich und anderen).

 

Steht ein Patient diesem Unbekannten gegenüber, wird er manchmal laut schreien: "Ich habe keine Hoffnung", und Therapeuten antworten nicht selten: "Bleib so. Das ist eine gute Habe für dich". Es ist wichtig zu verstehen, daß der Patient in dem Augenblick nicht erfährt, er ist und lebt hoffnungslos, sondern er ist befreit von der Einschränkung, auf sein Leben bloß zu hoffen.  

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Diese verletzbare Offenheit wird gelegentlich als schreckliche Erfahrung wahrgenommen. Ein Patient gab an, es sei wie "auf einem LSD-Trip ohne Psychose". Stellen Sie sich die Woge von Gefühlen vor in dem Moment, wo man sich einer Zwangsjacke entledigt, die man sein ganzes Leben lang anhatte, dann können Sie sich ein kleines Bild davon machen, was es heißt, sich auf die Freiheit des wirklichen Seins einzulassen.

Die Phasen der Einführung erfordern monatelange Verletzbarkeit und Offenheit. Statt die Verletzbarkeit abzulehnen und sich mit einem weniger offenen Gefühlszustand zu begnügen, muß die aus der Vergangenheit resultierende Stärke gefühlt und genutzt werden. Seine Transformation gleicht den eigenen Zustand dem des Therapeuten an. Der Therapeut, der vorher, als unverletzbar und allmächtig angesehen wurde, wird bloß zu einem anderen Menschen. Die Schranken zwischen Therapeut und Patient lösen sich auf, und es existiert ein tiefer persönlicher Austausch. Es gibt nicht mehr richtig oder falsch — es gibt nur die Gefühlsrealität. Da der Patient die Gefühle, die hinter den Projektionen liegen, integriert und fühlt, geht er in einen Zustand der Klarheit hinein, der zwar frei von Projektionen ist, aber erfordert, daß er weiterhin aus der neuen Inteqrationsebene heraus antwortet. Diese Projektionslosigkeit kann Sekunden, Stunden oder Monate andauern. 

Viele Leute sagen, wenn sie von den Stufen des Transformationszyklus lesen: "Ich will die Ebene drei" oder "Ich will nicht projezieren". Das ist lächerlich, denn es gibt nichts, wohin man gelangen könnte. Man hat einzig und allein Gefühle. Jede Ebene muß auf natürliche Weise von innen nach außen erreicht werden. Niemand kann die Ebene drei von außen nach innen erreichen. In Wirklichkeit gibt es gar keine Ebene drei. Wenn sich der Patient darum bemüht, wird er sie nie erreichen. 

 

Solche Augenblicke der Wahl stehen dem Drang gegenüber, den Abwehrmechanismen zu glauben und zuzulassen, daß die Verrücktheit das Selbst umschließt. Die einzige Ruhe ist im Handeln. Das Individuum verändert sich selbst und ist bereit, Veränderungen von seinen Mitmenschen zu fordern, und seine therapeutische Gemeinschaft antwortet auf die neue Gefühlsebene, die von den einzelnen Mitgliedern eingebracht wird. Das Individuum antwortet sich selbst und seiner Gemeinschaft, und die Gemeinschaft antwortet auf ihre Mitglieder. Die Mitglieder der Gemeinschaft öffnen in sich und anderen höhere Ebenen. Das Leben wird zu einer starken Realität von Individuen, die leben und sich verändern — ein Leben, das durch die Gemeinschaft gestützt und durch Individuen verändert wird.

Die Feeling Therapie ist eine Gemeinschaft von Individuen, die sich ständig verändern. Niemand weiß, was in Zukunft sein oder was gleich bleiben wird. Wenn wir mehr leben und fühlen, verändern wir die Therapie mehr. Die Therapie wind allmählich genauso real wie das Leben. Es gibt keine Trennung mehr zwischen Therapie und dem Leben, zwischen Mitgliedern der Gemeinschaft und Therapeuten. Es gibt nur Menschen, die ein realer werdendes Leben leben. Arbeit, Spiel, Liebe, Therapie — alles vereinigt sich in einem einfachen Augenblick-für-Augenblick-Leben.

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